© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
CD: Pop
Herzlich zynisch
Holger Stürenburg

Lange hat man nichts mehr von ihm gehört, vom britischen "Philosophen des Pop" bzw. "New Wave-Intellektuellen" Lloyd Cole. Die 1990er Jahre kamen fast vollständig ohne seine filigranen Gitarrenklänge aus, die zwischenzeitlich veröffentlichten Alben waren schlichtweg scheußlich. Aber man hatte seine mal weiche, mal beißend-ironische Stimme, gepaart mit poppigen, New-Wave-orientierten Gitarrenrockern durchaus vermißt. Nun liegt ein neues Album von Lloyd Cole vor, auf dem er zu seinem – laut Presseinfo – "minimalistischen Folkrock" zurückgekehrt ist, mit dem er Mitte bis Ende der Achtziger die Herzen erwärmte und zum Nachdenken anregte.

1982 hatte Cole während seines Philosophiestudiums gemeinsam mit Freunden die Commotions gegründet; zwei Jahre später erschien ihr Debüt "Rattlesnakes": Schriller, verzerrter Gitarrenpop mit textlichen Referenzen an "Jules and Jim", Simone de Beauvoir, Norman Mailer und Marlon Brando. Obgleich die erste Singleauskoppelung "Perfect Skin" zunächst nur in Großbritannien erfolgreich war, wurden auch in Deutschland zunehmend Fans von Elvis Costello oder The Smiths auf den verschlossenen Endzwanziger aufmerksam. Zu seinem 85er-Zweitling "Easy Pieces", der von den Hitproduzenten Alan Wistanley und Clive Langer produziert wurde, fand die erste BRD-Tour von Lloyd Cole & the Commotions statt, die sich in meist ausverkauften Clubs abspielte und sogar vom legendären "WDR-Rockpalast" mitgeschnitten wurde. Die Singles "Lost Weekend" und vor allem "Brand New Friend" gelten heute noch als Zeugnisse intelligenten Gitarrenpops aus dem Großbritannien der Thatcher-Ära. Zwei Jahre später, 1987, veröffentlichte Cole mit "Mainstream" das beste Album seiner Karriere – gerade, weil es seinem ironisch formulierten Titel so gar keine Ehre machen wollte: Die zerbrechliche Single "Jennifer she said" stürmte die deutschen Hitlisten. Doch kaum war Cole im Hitparadenleben angekommen, löste er seine Commotions auf, siedelte nach New York über und versuchte dort, sich als "Lou Reed der frühen Neunziger" zu etablieren. Sanfte Gitarrenklänge wichen auf seinem ersten, schlicht "Lloyd Cole" betitelten, Soloalbum härteren Rockklängen. Von dem Sessionmusiker Fred Maher produziert, mit dem Ex-Voivod-Gitarristen Robert Quine und dem später auch solo bekannt gewordenen Matthew Sweet am Baß, schuf Cole brillant-deftige Rocker wie "I hate to see you Baby doing that Stuff" – fiel aber kommerziell vollkommen durch. Cole wollte endlich als Popstar anerkannt werden; sein Hamburger Konzert im April 1990 war ein nur 45minütiges Glamrockspektakel, das vor Arroganz nur so strotzte. Weitere Alben wie "Don’t get weird on me, Baby" (1991) oder "Bad Vibes" (1993) wurden teilweise nur in Japan veröffentlicht – dort kann man sich für schiefe, merkwürdige Klänge zwischen Psychedelic und Elektronik offenbar begeistern.

Nun ist Lloyd Cole nach Frankreich gezogen, gründete seine neue Begleitband The Negatives, integrierte in diese den alten Commotions-Gitarrero Neil Clarke – und setzte dort musikalisch an, wo er 1987 mit "Mainstream" aufgehört hatte. Auf "The Negatives" (XIII/Bis-Records – in Deutschland über INDIGO) perlen die Gitarren in bester Achtziger-Jahre-Tradition, scheinen dieselben Synthis eingesetzt worden zu sein wie vor 15 Jahren, zeigen Coles Texte die gleiche Mischung aus Nachdenklichkeit, Zynismus und Romantik. Ob er etwa das als erste Single ausgekoppelte "Impossible Girl" wirklich mag oder nur verhöhnt, ist nicht unmittelbar zu ersehen; Cole betont auf Del-Amitri-ähnlicher Folkbasis, "No more Love Songs" singen zu wollen, und feiert in "Negative Attitude" die Urstände der Depression. Der inzwischen 39jährige verarbeitet meist eigene Erinnerungen, die die Realität immer wieder gnadenlos einbrechen lassen, etwa in "What’s wrong with this Picture?" oder "Past Imperfect".


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen