© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Traditionspflege
Karl Heinzen

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die CDU aus der Opposition heraus staatspolitische Verantwortung übernommen. Obwohl sie sich in ihrer fanatischen Entschlossenheit, den politischen Extremismus mit Stumpf und Stiel auszurotten, von niemandem überbieten lassen möchte, hat sie sich doch gegen die Absicht erklärt, daß über die Bild-Zeitung, die Bundesregierung und den Bundesrat hinaus nun auch noch der Bundestag das Bundesverfassungsgericht beauftragt, die NPD zu verbieten. Niemand wird also, wenn die Karlsruher Justizrepräsentanten der demokratischen Parteien ihre Arbeit getan haben werden, sagen können, daß nicht auch die andere Seite bedacht worden wäre.

Ohne befürchten zu müssen, die Mehrheit der Parlamentarier für ihren Standpunkt zu gewinnen und damit ein falsches Signal zu setzen, hat die einstige Staatspartei der BRD damit außerdem ihren Anspruch untermauert, besser als andere zu wissen, zu welchem Zweck und in welchem Interesse die innere Ordnung unseres Gemeinwesens so gestaltet wurde, wie wir sie nicht erst heute vorfinden. Sie spricht aus Erfahrung, wenn sie es als eine "klassische Aufgabe" der Exekutive bezeichnet, Verbote gegen jene Vereinigungen zu erlassen oder zu beantragen, die den Menschen in unserem Land einen grundsätzlichen Kurswechsel zu mehr Haß und Gewalt zumuten wollen. Die Union stellte die Bundesregierung, als das Bundesverfassungsgericht in sensibler Erkenntnis der politischen Großwetterlage die Verbote der SRP und der KPD aussprach. Die Zahl der Repressionen und Vereinsverbote in der Ära Kohl brach wahrscheinlich sogar gesamtdeutsch alle Nach- kriegsrekorde. Vor diesem Hintergrund erst wird die Wehmut der CDU verständlich, daß die Verbote von heute nicht mehr ihre Handschrift tragen.

Die Union hat ihren Beitrag geleistet, unsere Demokratie durch die Darstellung einer verfassungskonformen Mindermeinung erneut mit Leben zu erfüllen. Darüber hinaus hat sie sich mißverständlich genug verhalten, um jene täuschen zu können, die sich täuschen lassen wollen, um weder auf soziale Integration noch auf ein unbeflecktes politisches Gewissen verzichten zu müssen. Mit ein wenig gutem Willen wird man ihr unterstellen können, auch hier so weit gegangen zu sein, wie sie gehen konnte. "Staatscourage zeigen" (Wolfgang Bosbach), durch Repressalien Vertrauen schaffen: Die Union ist und bleibt in der Pflicht, gerade auch jene in unsere Ordnung einzubinden, die es als zentrale Staatsaufgabe betrachten, Andersdenkende zu verfolgen und lediglich in der Bestimmung des öffentlichen Feindes ab und zu gerne einmal andere Prioritäten gesetzt sehen wollen. Anders als vor drei Jahrzehnten erfüllt sie diese Pflicht allerdings ohne eigene Aspirationen. Aus dem Niedergang der alten NPD flossen CDU und CSU Personen und geistige Ressourcen zu, die die ganze Oppositionszeit über nützlich und unverkennbar waren. Von dieser NPD wird sie dies nicht erwarten dürfen.


 
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