© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
PRO&CONTRA
Wiedergutmachung für Medienopfer?
Helmut K. Rüster / Markus Roscher

Nur wer sich ständig nicht nur mit den Chancen, sondern
gerade auch mit den Risiken beschäftigt, die von einem sich immer schneller drehenden Medienkarussell zwangsläufig ausgehen, wird am Beispiel des "Falles Sebnitz" die ganze Gefährlichkeit übereilter, nicht hinlänglich recherchierter und dennoch scheinbar begierig aufgenommener Sensationsmeldungen erkennen. Ein bis dahin eher unscheinbarer Ort auf der Bekanntheitsskala deutscher Kommunen geriet über Nacht in die Schlagzeilen und für viele Menschen zum Synonym für rechte Gewalt und mangelnde Zivilcourage.

Außergewöhnlich ist es jedoch nicht, wenn Medien billigend in Kauf nehmen, daß sich ein vager Verdacht oder eine nicht weiter geprüfte Aussage für die Leser als schockierende Wahrheiten darstellen könnten.

Medienberichterstattung ist vielfach gleichzusetzen mit einem knallhart kalkulierten Risiko, das zuallererst auf Auflage und Einschaltquote abgestellt ist. Ein klares Bekenntnis zur Seriosität und die Suche nach zusätzlichen Erkenntnissen steht dem vielfach im Wege. Zumindest tangiert es den täglichen Wettlauf um die Kundschaft. Doch wenn durch derartiges Kalkül – und wie sich in diesem Fall immer mehr herausstellt – durch ungeprüft übernommene Aussagen Schaden entsteht, muß eine wie auch immer aussehende Wiedergutmachungsleistung gefordert werden. Wenn sich unser Bewußtsein verfestigt, daß durch Medien gravierende Fehler gemacht werden können, eine Richtigstellung durch die Verursacher mangels nicht vorhandener oder unzureichender Selbstkritik jedoch unterbleibt, wird der Medienwillkür weiter Tor und Tür geöffnet und dem für unser Gemeinwesen wichtigen Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Medien ein Bärendienst erwiesen. Deshalb muß intensiv und auch öffentlich darüber nachgedacht werden, wie Medien ihrer Verantwortung in Form von Wiedergutmachungsleistungen nach eklatanten "Stockfehlern" nachzukommen haben.

 

Helmut K. Rüster ist Pressesprecher der bundesweiten Opferschutzorganisation WEISSER RING

 

 

Das Medienrecht verfügt bereits jetzt über ein umfangreiches Arsenal an Waffen gegen eine fehlerhafte oder das Persönlichkeitsrecht verletzende Berichterstattung. Die Möglichkeiten der "Opfer" gehen sogar so weit, daß diese gegenüber Presseorganen Gegendarstellungen, auch unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, durchsetzen können. Wiedergutmachungen außerhalb des bereits vorgegebenen rechtlichen Rahmens wären übertrieben und würden ein ausuferndes Schmerzensgeldrecht à la USA provozieren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH steht dem Opfer dann ein Anspruch auf Wiedergutmachung – die mit Geldentschädigung gleichzusetzen ist – zu, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht handelt. Die Schwere des Eingriffs hängt vom Einzelfall ab und bemißt sich nach Tragweite, Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie dem Grad seines Verschuldens. Die Rechte einer ganzen Stadt oder einer Interessengruppe sind dabei niemals – wenn überhaupt – so schützenswert wie zum Beispiel die Intim- oder Privatsphäre eines einzelnen Menschen. Auch wenn nicht jede richtige Tatsachenbehauptung von öffentlichem Interesse ist, so ist deren Wahrheitsgehalt natürlich grundsätzlich Voraussetzung einer nicht zu beanstandenden Berichterstattung. Es geht bei der Wiedergutmachung insoweit in erster Linie um schwerwiegende falsche Tatsachenbehauptungen gegenüber konkreten Personen oder Personengruppen.

Wertende Äußerungen, also Meinungen, egal wie abwegig sie auch sein mögen, unterliegen dem Schutz des Artikel 5 des Grundgesetzes. Dieser Schutz ist umfassend und soll die Pressefreiheit nicht in ein zu enges Korsett zwängen. Die Persönlichkeitsrechte von "Medienopfern" sind in diesem Kontext zu beachten. Weitergehende Ansprüche würden die Ausübung der Pressefreiheit zu einem halsbrecherischen Unterfangen werden lassen.

 

Markus Roscher lebt als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Medienrecht in Berlin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen