© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Ein selbstsüchtiger Trick
von Ivan Denes

Im Ausland hat der plötzliche Rücktritt des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak inmitten der schwersten Krise des Landes Verwirrung ausgelöst, zumal vorgezogene Parlamentswahlen schon für den Mai festgelegt schienen. Die direkte Wahl des Ministerpräsidenten muß jedoch 60 Tage nach seinem Rücktritt erfolgen, kandidieren kann nur, wer Mitglied des Parlaments ist.

Der Vorstoß des sozialdemokratischen Politikers Barak war ein völlig selbstsüchtiger, rein machtpolitischer Trick: alle Umfragen deuten darauf hin, daß der frühere Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom rechten Likud-Block eine direkte Konfrontation mit Barak mit beträchtlichem Abstand gewinnen würde. Nicht aber der gegenwärtige Oppositionschef, Ariel Sharon, der als "rechter Hardliner" gilt. Barak ist also zurückgetreten, um bei der Ministerpräsidentenwahl gegen Sharon und nicht gegen Netanjahu antreten zu müssen. Bei einer so hoch politisierten Bevölkerung wie den Israelis bleibt jedoch ein solcher Schachzug nicht ungestraft, zumal es diesmal tatsächlich um Sein oder Nichtsein ihres Staates geht. Der Druck auf das Parlament, sich aufzulösen und somit simultane Wahlen zu ermöglichen, steigt stündlich. Löst sich das Parlament auf, kann Netanjahu antreten. Er wird dann die Regierung wahrscheinlich Anfang des Frühjahrs übernehmen und somit Israel vor der schon halb bewerkstelligten Kapitulation noch retten. Hoffentlich sind die anderen 119 Abgeordneten der Knesset weniger selbstsüchtig.


 
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