© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Luzifers Sieg
Oper: "Faust" von Louis Spohr in Köln
Julia Poser

Wien im Jahr 1814. Sieger und Besiegte tanzen und verhandeln nebenbei auf dem Wiener Kongreß die Neuverteilung Europas. Bei einem der zahlreichen Konzerte wird zum ersten Mal die Ouvertüre zur Oper "Faust" von Louis Spohr gespielt. Eigentlich sollte die schon ein Jahr zuvor fertiggestellte "Romantische Oper" des 1784 in Braunschweig geborenen Violinvirtuosen Spohr im Theater an der Wien aufgeführt werden. Aber die üblichen Wiener Theaterintrigen und ein Streit zwischen dem Intendanten und Spohr lassen das Projekt scheitern. Erst 1816 erreicht Carl Maria von Weber im Prager Ständetheater eine erfolgreiche Uraufführung. Bis zum Jahr 1883 ist dann Spohrs "Faust" auf allen deutschen und vielen europäischen Bühnen zu hören. Danach verschwindet das Werk für mehr als ein Jahrhundert in der Versenkung.

"Faust", die vierte Oper des Komponisten, ist die erste deutsche "romantische" Oper. Bereits in der Ouvertüre stellt Spohr die drei wichtigsten Leitmotive vor: Im Höllenmotiv, im Liebesmotiv und im Zwiespaltmotiv wird Fausts Schicksal schon angekündigt. Hier hat auch Wagners Leitmotivtechnik ihren Ursprung. Obwohl sich Spohr stark für Wagners Opern einsetzte, dankte dieser ihm seine vornehme Geste nur mit Spott und Gehässigkeit – vermutlich der Grund für Spohrs langes Vergessensein, obwohl sein Oeuvre zehn Opern, ebenso viele Sinfonien, zahlreiche Konzerte, Streichquartette und Oratorien umfaßt. Während seines langen Aufenthaltes in Kassel als Hofkapellmeister kämpfte er auch für die soziale Aufwertung des Berufsmusikerstandes. Seine "Violinschule" brachte ihm viele Schüler, und er wurde als Virtuose neben Paganini gestellt. Er ist fraglos ein Komponist, den es neu zu entdecken gilt.

Mit Goethes "Faust" hat Spohrs Oper nicht viel gemeinsam. Carl Bernhard, Herausgeber der damals einflußreichen Zeitschrift Thalia, schrieb das Libretto, das auf dem alten Faust-Volksbuch und auch auf Kleists "Käthchen von Heilbronn" fußt. Also keine klassische, sondern eine romantische Ritter- und Schauergeschichte, in der es für Faust keine Erlösung gibt: "Hölle frohlocke"!

In der Oper Köln hat Regisseur Torsten Fischer "Faust" mutig und bildkräftig inszeniert – keine Gartenlaubidylle! Die starke innere Bindung zwischen Faust und Mephistopheles, der mit großen schwarzen Flügeln eher Luzifer, der gefallene Engel ist, zeigt Fischer klar auf. Aber auch die unschuldige Kindfrau Röschen und die Gräfin Kunigunde, zwischen welchen Faust sich nicht entscheiden kann, sowie die kleineren Partien erhalten ein klares Profil. Ausstatter Herbert Schäfer stellt eine sechsstöckige Treppenflucht auf verschiedenen Ebenen in den Bühnenhintergrund, auf der sich der Chor stimmig zur Musik auf und ab bewegt. Für intimere Szenen bedient sich Schäfer im Vordergrund einer raffinierten Auf- und Ablenkungstechnik mit wechselnden Ausschnitten.

Mel Ulrich in der Titelrolle überzeugte mit seinem großen, eleganten Bariton als Liebender in "Liebe ist die zarte Blüte" wie auch als Zwiespältiger in der großen Arie im zweiten Akt, in welcher er sich für keine der beiden Frauen entscheiden kann. Gidon Saks war mit imposantem Bariton und ausdrucksvollem Spiel Fausts beherrschendes Alter ego. Banu Böke in der Partie des Röschens klang anfangs etwas dünn; in der Kavatine "Dürft ich mich nennen sein eigen" entfaltete sich dann der ganze Liebreiz ihres mädchenhaften Soprans. Gräfin Kunigunde, schwankend in ihrer sinnlichen Liebe zwischen Graf Hugo und Faust, wurde von Regina Schörg mit blitzenden Koloraturen und auftrumpfender Stimme gesungen. Sehr ansprechend der Tenor von Justin Lavender als Graf. Andrea Andonian gab eine packende Darstellung der Hexe Sycorax, die den Tod verkörpert.

Den Kölner Gürzenich Philharmonikern entlockte Ralf Weikert alle Schattierungen einer romantischen Oper – als einziges "romantisches" Element. Er motivierte die Musiker zu zarten lyrischen Momenten, ließ sie kraftvoll in den Chorszenen aufspielen und entzündete am Ende ein gewaltiges musikalisches Höllenfeuer.

Eine ungewohnt kühne Inszenierung, die auch in ihrer stilistischen Geschlossenheit von Anfang an überzeugte.


 
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