© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Hang zur Harmonie
Vor 25 Jahren starb der Dichter Thornton Wilder
Werner Olles

Am Ende seines Lebens war der Blick Thornton Wilders auf die Verbindung der Liebe zu Gott mit der Liebe zu den Menschen gerichtet. In diesem verstärkt religiösen Akzent klang unter anderem seine Kierkegaard-Lektüre nach; vor allem aber beruhte er auf einer Dialektik von Christentum und Antike. Wenn zu Beginn seines literarischen Schaffens zeitweise noch eine tiefe Kluft zwischen Gott und Mensch zu bestehen schien, setzte sich jedoch schon bald Wilders Idee der "Liebe als Sinn" in seinem Werk durch. Tief in der abendländisch-europäischen Tradition verwurzelt, ließ er seine adventistischen Hoffnungen die Erzählungen, Novellen, Drehbücher und Schauspiele bestimmen.

Thornton Wilder wurde am 17. April 1897 in Madison, Wisconson, geboren. Als er neun Jahre alt war, ging sein Vater als Generalkonsul nach Hongkong. Hier besuchte der junge Wilder eine von christlichen Missionaren geleitete Schule. 1914 aus China zurückgekehrt, studierte er unter anderem an der Yale-Universität. Seine erste Studienreise führte ihn nach Rom, wo er die American Academy besuchte. Nach seiner Rückkehr aus Europa wurde er Lehrer und schrieb 1926 sein erstes Buch: "Die Cabala", eine Frucht seiner römischen Studienzeit, in dem er seine Neigung zum Abendland und seine Liebe zur Antike zum Ausdruck brachte. Ein Jahr später errang er mit seinem zweiten Roman "Die Brücke von San Luis Rey" großen Erfolg. Publikum und Kritik waren gleichermaßen begeistert von dem Roman, der mit entschiedenem Ernst die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte. In den Biographien seiner Hauptpersonen schilderte Wilder Leben, die von Leid erfüllt waren, im plötzlichen Tod enden oder, bei den Zurückgebliebenen, vom Schmerz des Verlustes gezeichnet waren. Durch eine innere Wandlung gelingt es ihnen jedoch schließlich, ihren Egoismus zu überwinden und zu selbstloser Liebe zu finden. 1928 wurde die Erzählung mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

1930 ging Wilder erneut nach Europa. Als ihm an der Universität von Chikago eine Professur für Literatur angeboten wurde, kehrte er in die USA zurück, seine Zeit zwischen Lehren und Schreiben aufteilend. 1934 gelang ihm mit dem Roman "Dem Himmel bin ich auserkoren" eine sprachlich besonders dichte Milieudarstellung der wirtschaftlichen Depression und des religiösen Sektierertums. Wilders christliche Überzeugung kam auch in seinem ersten bedeutenden Schauspiel "Unsere kleine Stadt" (1938) zum Ausdruck. Seine Zeichnung des Alltags einer Kleinstadt in den dreißiger Jahren griff tief hinein in die amerikanische Gegenwart.

Das eigentümliche Verhältnis des einzelnen Menschen zur Masse sowie zur Größe von Raum und Zeit gehört genauso zum nichtillusionistischen Stilprinzip des vom chinesischen Theater angeregten Wilderschen Dramas wie die Schwere des Lebens. Auch in dem Spiel "Ein langes Weihnachtsmahl" führte er in zeitlicher Konzentrierung mit Hilfe von Symbolik die ständige Wiederholung der Grundereignisse des menschlichens Lebens in der Folge der Generationen vor. Diese Inspiration durch das orientalische Theater wurde auch in dem nach dem Zweiten Weltkrieg sehr erfolgreichen Drama "Wir sind noch einmal davongekommen" deutlich.

Zumindest bis zu dem Roman "Die Iden des März" (1948) wollte Wilder seine Werke vor allem reli-giös verstanden wissen. Zunehmend skeptisch gestimmt, schrieb er jetzt: "Es gibt wohl keine Götter. Wir müssen uns selber helfen. Wir müssen uns durchs Leben schleppen, so gut wir können." So sagt Cäsar hier, daß man ein letztes Wort, ob das Leben sinnlos oder geordnet sei, nicht wagen könne: "Das Leben hat keinen Sinn außer dem, den wir ihm geben."

Seinem Drama "Alkestiade" (1955) sprach er hingegen ausdrücklich wieder einen religiösen Sinn zu. Alkestis findet hier zur christlichen Ethik, sie wird die "erste der Auferstandenen". 1957 wurde dem Dichter, der Anfang der fünfziger Jahre als Professor für Dichtkunst an der Harvard-Universität tätig gewesen war, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Von Altersweisheit und Wilders Neigung, zu vermitteln und Vielfältiges zu harmonisieren, waren auch seine letzten Romane geprägt. Für "Der achte Schöpfungstag" (1967) und "Theophilus North" (1974) erhielt er abermals den Pulitzer-Preis. Am 7. Dezember 1975 starb Thornton Wilder im Alter von 78 Jahren in New Haven. Er hinterließ ein Werk von großer dichterischer Intensität und Bildfindung, das in seinen besten Partien Weltgeltung beanspruchen darf.


 
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