© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Chancen für rot-grüne Mehrheiten
Burgenland: Die Landtagswahlen im kleinsten Bundesland waren eine Niederlage für die Bundesregierung in Wien
Carl Gustaf Ströhm

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen mußten die österreichischen Freiheitlichen, die auf Bundesebene in Wien gemeinsam mit der ÖVP regieren, auf Landesebene eine herbe Niederlage einstecken. Nach dem Rückschlag in der Steiermark brachte auch die Landtagswahl im Burgenland fast zwei Prozent Stimmverluste – die FPÖ rutschte von 14,5 auf 12,6 Prozent zurück und verlor ihren proporzmäßigen Sitz in der Landesregierung.

Die Hoffnung, mit einem handfesten "roten" Bankenskandal beim Wähler punkten zu können – die "Bank Burgenland" war mit Milliardenverlusten (in Schilling gerechnet) in die roten Zahlen geraten –, erwies sich als Trugschluß. Ebenso stieß auch die Kampagne der FPÖ gegen die EU-Osterweiterung bei den gewissermaßen in Sichtweite Ungarns lebenden Bewohnern des östlichsten, kleinsten österreichischen Bundeslandes auf taube Ohren. Dafür gibt übrigens auch einen plausiblen Grund: Inzwischen arbeiten zahlreiche Burgenländer in Ungarn, zum Beispiel in den Zweigwerken von Audi oder BMW in Raab (Györ). Viele Burgenländer betrachten also die Osterweiterung nicht so dramatisch, zumal die Nachbarschaft zu Ungarn als keineswegs unangenehm empfunden wird.

Die eigentliche Sensation der Burgenlandwahl liegt in der Tatsache, daß hier ein deutlicher Linksruck stattgefunden hat. Anders als etwa in der Steiermark stand einer von Verlusten gebeutelten FPÖ nicht eine siegreiche ÖVP und eine gleichfalls abgeschlagene Sozialdemokratie gegenüber. Im Burgenland erwischte es diesmal beide nichtsozialistischen Parteien. Auch die ÖVP verlor – obwohl sich ihr Spitzenkandidat Gerhard Jellasitz bereits Chancen ausgerechnet hatte, mittels einer schwarz-blauen Koalition à la Wien zum Landeshauptmann gekürt zu werden.

Die Grünen ziehen erstmals ins Landesparlament ein

Daraus wird jetzt nichts: Die ÖVP sank nicht nur von 36 auf 35,3 Prozent – was vielleicht noch zu verschmerzen gewesen wäre. Auch die bisher knappe absolute Mehrheit der beiden nichtsozialistischen Parteien ist verloren. Das hat auch außerhalb der burgenländischen Politik seine Auswirkungen: So verlieren die Bürgerlichen die angepeilte qualifizierte Mehrheit in den Aufsichtsgremien von Fernsehen und Rundfunk. Die "linke" Reichshälfte kann auch aufatmen. Jellasitz erklärte am Montag nach der Wahlniederlage sogleich seinen Rücktritt vom ÖVP-Landesvorsitz.

Die SPÖ feierte – trotz ihres "Reservisten" Hans Niessl als Spitzenkandidat – seit langer Zeit erstmals einen großen Erfolg: Sie stieg von 44,4 auf 46,5 Prozent. Zum ersten Mal schafften auch die Grünen den Einzug in den Landtag – sie verdoppelten ihren Stimmanteil von 2,5 auf 5,4 Prozent. Allerdings kamen die grünen Gewinne aus dem Niedergang des Liberalen Forums, der gescheiterten FPÖ-Linksabspaltung. Rot-Grün wird damit zumindest tendenziell fürs Burgenland – und morgen vielleicht für ganz Österreich – zu einer kommenden Möglichkeit.

Eingeweihte Beobachter der politischen Szenerie sehen in der Burgenlandwahl ein Menetekel für die im kommenden Jahr bevorstehenden Wiener Stadt- und Landtagswahlen. Sollte die Negativtendenz auch hier durchschlagen, stünde der FPÖ – und wohl auch der bürgerlichen Wiener Bundesregierung – eine Zerreißprobe bevor, die bis zum Bruch gehen könnte.

Warum ist die Rechnung der FPÖ im Burgenland nicht aufgegangen –und warum droht ihr demnächst das gleiche Schicksal nochmals in Wien? Es herrschte allgemeine Verwunderung, daß die Burgenländer die regierende SPÖ wegen des Debakels der staatlich kontrollierten Bank nicht nur nicht bestraft, sondern sogar noch mit Stimmen belohnt und den bisherigen SPÖ-Landeshauptmann Karl Stix – der wegen der Affäre nicht mehr kandidierte – sogar mit Sympathiebezeugungen überschüttet haben. Auch die "Spitzelaffäre", die in der Bundespolitik und der Justiz hohe Wellen schlug, spielte offenbar keine Rolle.

Dagegen scheint ein anderer Gesichtspunkt durchzuschlagen: Der 34jährige FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser führt in den Bundesfinanzen eine knallharte Konsolidierungspolitik, die bis zum Jahre 2002 einen ausgeglichenen Staatshaushalt präsentieren soll. Die Folge ist, daß die "populistische" FPÖ – die während ihrer Oppositionszeit die "sozialistischen" Steuererhöhungen und Belastungen geißelte und aus dem Munde Jörg Haiders eine "flat-tax" propagierte – selber zu einer Steuererhöhungs- und Belastungspartei mutiert ist: Erhöhung der Autobahngebühren um fast 100 Prozent, Einführung von Studiengebühren, Streichung von Steuererleichterungen, Erhöhung der Einkommensteuervorauszahlungen um zehn Prozent, um nur einige der "Bonbons" zu nennen. Die teils neoliberale, teils monetaristische Finanzpolitik des Finanzministers gerät somit in wachsenden Widerspruch zu Haiders "Populismus". Die Wähler ziehen daraus die Konsequenz und kehren der FPÖ den Rücken – denn der Durchschnittsbürger kann mit Begriffen wie "Nulldefizit" wenig anfangen. Auch die Staatsverschuldung ist ihm – österreichisch gesprochen – "wurscht", solange er nicht im eigenen Geldbeutel die Ebbe spürt.

Der hektische Reformeifer stößt außerdem in gewisser Hinsicht ins Leere: Runter von den Staatsschulden ist ein schönes Ziel – aber was kommt dann? Der schwarz-blauen Wiener Koalition droht in mancher Hinsicht ein ähnliches Schicksal wie seinerzeit der Regierung Kohl in Bonn: Vor lauter pragmatischer Freude am Regieren die großen Ziele aus den Augen zu verlieren. Interessant ist jedenfalls, daß in den Überlegungen des FPÖ-Finanzministers offenbar das Problem der Familie und der Kinderarmut in Österreich so gut wie keine Rolle spielt.

Die FPÖ läuft fröhlich in die offenen Messer ihrer Gegner

Grasser kündigt darüber hinaus grundlegende Reformen der Verwaltung an, die – würde man sie verwirklichen – auf eine Abschaffung des Berufsbeamtentums hinauslaufen. Das führt – von weiterreichenden Überlegungen abgesehen – zu erheblicher Unruhe in der Beamtenschaft, und das sind samt Angehörigen einige hunderttausend Wähler.

Böse Zungen behaupten gar, der schlaue ÖVP-Chef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel habe mit Vorbedacht den "Blauen" (FPÖ) jene Ressorts und Zuständigkeiten überlassen, mit denen man sich ins eigene Fleisch schneiden kann: Finanzen, Verkehr und Infrastruktur, oder die von der FPÖ-Vizekanzlerin Riess-Passer "betreuten" Beamten, die bereits heftig zu protestieren beginnen.

Erstaunlich ist immerhin, daß die FPÖ offenbar fröhlich in die offenen Messer ihrer Gegner hineinläuft. Nicht ohne Absicht wurde am vergangenen Montag gemeldet, 65 Prozent der Arbeiter hätten im Burgenland sozialdemokratisch gewählt. Die "Gefahr", daß Haider in die Stammwählerschichten der SPÖ einbricht – was ihm zeitweise erstaunlich gut gelang – scheint gebannt. Groteskerweise: mit Hilfe der FPÖ selber.


 
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