© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
"Absolute Beliebigkeit"
Evangelische Landeskirchen: Ex-Minister Hans Apel fordert Abschaffung der Kirchensteuer
(idea)

Die Kirchensteuer ist nach Ansicht des früheren Bundesfinanzministers Hans Apel (SPD) das Grundübel in den evangelischen Landeskirchen. Zwar sei diese Finanzierung bequem, weil sich die Mitglieder nicht sonderlich bemühen müßten. "Aber damit kann viel Unsinn gefördert werden", sagte Apel Ende November in einem Vortrag in der Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Sittensen bei Hamburg. Apel war vor einem Jahr zusammen mit seiner Frau von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in die SELK gewechselt. Diese läßt von ihren rund 38.500 Mitgliedern keine Kirchensteuer einziehen, sondern finanziert sich aus freiwilligen Beiträgen. Die Kirchensteuer sei "Gift für die Landeskirche", sagte Apel, sie zerstöre die Beziehung zwischen Kirche, Pastoren und Gemeinde und führe "zu allem möglichen Hallodri". So sei nicht auszuschließen, daß mit Mitteln aus der Kirchensteuer auch solche Gemeinden finanziert würden, in denen ausschließlich homosexuelle und lesbische Paare lebten. Apel: "In den Landeskirchen ist alles möglich. Dort wird ein Christentum der absoluten Beliebigkeit praktiziert." Dem Argument, daß die Landeskirche aus Kirchensteuern beispielsweise auch Krankenhäuser finanziere, entgegnete er, daß es sich dabei nur um "verschwindend geringe Anteile" handele. Das meiste stamme aus staatlichen Kassen.

Apel studiert inzwischen an der Hamburger Universität Theologie. Er sei deshalb in die SELK gewechselt, weil er die gängige Praxis in Nordelbien nicht weiter mit seinem Geld unterstützen wollte. Apel wandte sich gegen eine "vom Evangelium losgelöste Segnungskirche", die für alle Gelegenheiten dasein wolle. In der Nordelbischen Kirche sind beispielsweise Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare möglich.

Auf den Einwand von Zuhörern, daß die Landeskirche auch Nischen für bekennende Christen böten, erwiderte Apel: "Durch Nischen werden die Frommen nur ruhiggestellt – wie eine Art Valium." Bei Synodenwahlen hätten die Frommen und Konservativen keine Chance mehr. "Synodenwahlen kann man auch als Volkskammerwahlen bezeichnen", so Apel. Die Landeskirchen werde es zwar noch lange geben, er habe aber "jede Hoffnung aufgegeben, daß dort Umkehr möglich ist". Sein Kirchenaustritt und sein Eintritt in die SELK sei keine Frage des Mutes, sondern des Bekenntnisses gewesen. Die SELK-Gemeinden seien fromm, aber zu sehr nach innen gekehrt. Sie sollten "sich öffnen für das, was in der Welt geschieht".

Auf die Frage von Zuhörern, ob vom Islam eine Gefahr ausgehe, verwies der langjährige Bundespolitiker auf das Grundgesetz. "Wenn Muslime keine Fundamentalisten und nicht gewalttätig sind, genießen sie den Schutz des Grundgesetzes und des Staates". Die Bundesrepublik habe schließlich viele Türken vor Jahrzehnten als Arbeitskräfte ins Land geholt. "Wir werden tolerant mit ihnen umgehen, wenn sie mit uns tolerant umgehen. Man kann auch keine Moscheen verbieten." Die Gefahr sei aber groß, daß der Islam zum Fundamentalismus neige. Sollten Muslime fundamentalistisch werden, was sich etwa in der Brutalisierung von anderen Muslimen andeute, müßten Verfassungsschutz und Polizei einschreiten. (idea)


 
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