© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Am Rande der Karpaten
Roland Schönfeld zur Geschichte und Landeskunde des EU-Aspiranten Slowakei
Steffen Königer

Unterhält man sich mit deutschen Bürgern, vernimmt man zum künftigen EU-Mitglied Slowakei fast stereotyp: "Die Slowakei, ach ja, wie gut das die jetzt mit Kroatien Frieden haben." Erstaunen kann diese Ignoranz nicht. Die fünf Millionen Slowaken, die als selbstbestimmtes Volk erst wieder 1993 ihre Rückkehr in die Geschichte anmeldeten, sind von deutscher Seite publizistisch und historiographisch notorisch übergangen worden. Öffentliches Interesse konzentrierte sich bis 1992 bestenfalls auf die Tschechoslowakei mit Prag als Hauptstadt, während die slowakische Metropole Bratislava/Preßburg irgendwo hinter den Bergen zu liegen schien.

Ein Buch über dieses Niemandsland stößt daher in ein erhebliches Informationsdefizit. Roland Schönfeld versucht dem mit seiner umfassenden, historisch fundierten Landeskunde abzuhelfen. Dabei beschränkt sich der Münchner Politikwissenschaftler und langjährige Geschäftsführer der Osteuropa-Gesellschaft in Regensburg keineswegs nur auf die mehr als tausendjährige politisch-geschichtliche Entwicklung, sondern bezieht kulturelle wie ökonomische Aspekte des slowakischen Volksschicksals mit ein.

Um deutschsprachige landeskundliche Literatur in größerer Zahl zu finden, muß man schon auf jene Bibliographien rekurrieren, die "auslandswissenschaftliche" Studien aus jenen Jahren erfassen, die der Slowakei eine kurzfristige Autonomie im "Schutz des Reiches" bescherten. In diesen Publikationen findet sich zuhauf, was auch bei Schönfeld nicht zu kurz kommt: die deutschen Traditionen des Landes, seine von Zuwanderern geprägte Siedlungsstruktur, die sich bis heute in manchen Ortsnamen niederschlägt.

Schönfelds Geschichte der Slowakei – von den Anfängen im 6. Jahrhundert bis in die Gegenwart – stellt den relativ zahlreichen angelsächsischen Darstellungen endlich eine gründliche und zudem gut lesbare deutsche Untersuchung zur Seite.

Bei der kulturellen Entwicklung des Landes erkennt der Autor ganz richtig, daß die Slowaken tausend Jahre unter Fremdherrschaft lebten, sich also nie in freier Selbstbestimmung entfalten konnten. Darum verwundert es, wenn Schönfeld behauptet, die Slowaken hätten gerade deshalb über ihre Geschichte keine nationale Identität ausbilden können, weil ihnen Historiker von Format fehlten. Doch wie soll ein Volk seine Geschichte schreiben, wenn die Amtssprache über Jahrhunderte hinweg die der ungarischen Herren war? Und auch zur K. und k.-Zeit hatten andere Minderheiten (Ukrainer, Ruthenen) mehr Rechte als die Slowaken.

Viel Raum gibt Schönfeld der slowakischen Geschichte zwischen 1939 und 1944. Die 1939 erstandene Republik unter Jozef Tiso hatte sich nicht, wie oft behauptet, wegen ihrer Zuneigung zu Hitler gegründet. Man sah darin nur die Chance,nach der Auflösung der Tschechoslowakei nicht wieder in die Fänge der Ungarn zu fallen. Dies beschreibt der Autor sehr präzise. Auch die Frage, warum die Slowaken sich 1993 von Prag trennten, stellt er nachvollziehbar dar. Deshalb ist es verwunderlich, daß Schönfeld nicht erklärt, weshalb die Slowaken keine zehn Jahre nach der wiedergewonnenen Freiheit und Selbstbestimmung diese an die EU zumindest partiell wieder abzugeben gedenken. Zur Erklärung böte sich an: Die Slowaken erhoffen von Brüssel eine größere Respektierung ihrer Souveränität, und glauben erstmals in ihrer langen Geschichte frei und selbst entscheiden zu können, wohin der Weg ihres Volkes in Zukunft führt.

Roland Schönfeld: Slowakei. Verlag Friedrich Pustet ,Regensburg 2000, 288 Seiten, Abb., 49,90 Mark


 
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