© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Melkkuh der Nation
Karin Jäckel: Deutschland frißt seine Kinder. Familien heute: ausgebeutet – ausgebrannt
Michael Wiesberg

E s ist nicht das erste Mal, daß Karin Jäckel, die sich auf familienpolitische Themen spezialisiert hat, Anstoß erregt. Durch ihre Auseinandersetzung mit dem real exisitierenden Feminismus in Deutschland ist sie in das Fadenkreuz von Radikalfeministinnen geraten, die ihr bereits mit Entführung, Mord oder Brandschatzung drohten. Jäckel mußte erfahren, daß es nicht allzu weit her ist mit der Meinungsfreiheit hierzulande, wagt man sich an Tabus. Sie wurde damit konfrontiert, daß Lektorinnen ihr Manuskript "untergehen" oder Verträge platzen ließen.

Auch Buchhändlerinnen meinten, sie müßten die brisanten Bücher von Karin Jäckel möglichen Interessenten vorenthalten. Diese Damen boykottierten entweder ihre Bücher oder erklärten auf Nachfrage fälschlich, die Werke seien vergriffen. Kurz und gut: Diese Autorin erlebte, was für rechte oder konservative Publizisten inzwischen Alltag ist. Jetzt hat Karin Jäckel, Jahrgang 1948, erneut Anstoß erregt. Im Rowohlt-Verlag ist ihr neuestes Buch "Deutschland frißt seine Kinder. Familien heute: ausgebeutet – ausgebrannt" erschienen.

Jäckel hat in diesem Buch eine umfassende Analyse der Auswirkungen der Familienpolitik in Deutschland sowie ihrer ideologisch-historischen Wurzeln vorgelegt. Ausgangspunkt ihres neuesten Buches ist die Feststellung: Obwohl sich etwa 95 Prozent junger Menschen eine Familie wünschen, unterschreitet die bundesdeutsche Gesellschaft deutlich die Geburtenrate, die für ihre Reproduktion notwendig ist. Warum das so ist, darauf gibt Jäckel eine unmißverständliche Antwort: In Deutschland ist die Familie zur "Melkkuh und zum Abtreter der Nation" geworden. Kinder werden mehr und mehr zum Armutsrisiko. Drastisch formuliert sie: "Wer heute als Kind in Deutschland geboren wird, wächst in eine soziale Apokalypse hinein."

Starke Worte, die eine entsprechende Fundierung verlangen. Diese liefert Jäckel im zweiten Kapitel, wo sie sich mit der "Familienzersetzung durch politischen Machtmißbrauch" beschäftigt. Ins Visier nimmt sie dabei das "sozialistische" (rot-grüne, d.V.) Lager, in dem Jäckel auch die "Frauenbewegung" verortet. Aus deren Reihen würde die "Institution Familie als ein Brutkasten erzkonservativ-reaktionärer Verhinderer" attackiert. Aus Sicht der "Feministinnen" sei die Familie geeignet, "die traditionell bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen und Erziehungsmaximen zu erhalten, um die wahre Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter zu unterdrücken". Auf diese Weise werde eine wirkliche Chancengleichheit verhindert. Da die Familie das Recht der Frauen auf Chancengleichheit unterdrücke, fordert eine "sozialistische Familienpolitik vehement die Zuständigkeit der staatlichen Solidargemeinschaft für die Erziehung der Kinder". Nicht die "normale Familie" steht deshalb im Fokus des "öffentlichen Interesses", sondern frauliche "Selbstbestimmung" und "Gleichberechtigung", die mehr und mehr zu Lasten der Männer geht. Im gleichen Maße wird die gesellschaftlich so wertvolle Arbeit von "Nur-Hausfrauen und Müttern" disqualifiziert. Deren Arbeit verdient aus Sicht rot-grüner Gesellschaftsingenieurinnen keinerlei Alimentierung, wie sie sich etwa aus dem derzeit diskutierten Erziehungs- oder Familiengehalt ergäbe. Um hier nur Heide Pfarr (SPD) zu zitieren: "Also die Hausfrau, die sich mein Kollege zu Hause hält, um mit mir besser konkurrieren zu können, weil ich mir so was nicht halte, die unterstütze ich weder steuerlich noch sonst irgendwie. Überhaupt null." Eine Aussage, die jene Blüten des Radikalfeminismus ergänzt, die die Pekinger Welt-Frauenkonferenz trieb: Dort sprach man nicht mehr von Müttern, sondern von "Frauen während der Zeit der Kindererziehung".

Diese ideologische Aushöhlung der Familie geht Hand in Hand mit deren Degradierung zur "Melkkuh der Solidargemeinschaft" – um hier nur das größte Ärgernis, den Generationenvertrag, anzusprechen. Mit Recht geißelt Jäckel den Skandal, daß die, die mit der Kindererziehung die Hauptlast für die Rentensicherung tragen, für diese Leistung nicht belohnt, sondern sanktioniert werden. Betroffen sind primär Mütter, müssen diese doch ihr durch Kindererziehung bedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit Einbußen bei der Rente zahlen. Und dies, obwohl gerade Kinder die Voraussetzung dafür sind, daß das Rentensystem nicht kollabiert.

Doch nicht nur Mütter haben in Deutschland keine Lobby. Auch Kinder werden diskriminiert und ignoriert. Erstes Beispiel: Arzneimittel. Die Wirkungsweise von rund 80 Prozent aller Arzneimittel wurde bei Kindern bisher nie wissenschaftlich untersucht. Die Dosis rechnet man einfach von einem Erwachsenen auf ein Kind herunter. Zweites Beispiel: Schulen. Die Lehrer werden immer älter. Geld für die Qualitätssteigerung der Schulbildung steht immer weniger zur Verfügung. Statt dessen greifen Eltern immer tiefer in die Tasche, um einen entsprechenden Ausbildungsstandard zu sichern. Drittes Beispiel: Spielplätze, die in Großstädten mehr und mehr zu Hundeklos verkommen. Für Spielgeräte sammeln inzwischen Bürgerinitiativen. Dabei preßt dieser Staat seinen Bürgern Steuern wie noch nie ab. 60 Milliarden Mark, so rechnete jüngst der Bund der Steuerzahler vor, verschwinden davon im Nirwana. Käme nur ein geringer Teil des Geldes Familien zugute, sähe deren Lage wesentlich besser aus.

Die Autorin hat ein wichtiges, ein aufrüttelndes Buch geschrieben. Wer wissen will, warum in Deutschland seit dreißig Jahren so wenig Kinder geboren werden, daß es heute als Einwanderungsland ausgerufen werden muß, der lese die Gründe bei Karin Jäckel nach.

 

Karin Jäckel: Deutschland frißt seine Kinder. Familien heute: Ausgebeutet – ausgebrannt, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2000, Tb, 319 S., 19,90 Mark


 
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