© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
"Kommen Sie, Cohn"
Kontroversen über Theodor Fontanes Verhältnis zum Judentum
Irene Casparius

Auf leisen Sohlen nähert sich der Literaturwissenschaftler Kurt Eh einem verminten Forschungsfeld: "Ist es angebracht und opportun im Sinne der ’political correctness‘, dieses Thema zu behandeln, ein Thema, das nicht ohne ‚gefährliche Klippen‘ und Fallstricke‘ ist?" Was Eh dann in der eigentlich linksliberalen Literaturzeitschrift Berliner LeseZeichen (Heft 6-7/00) unter dem eher unverfänglichen Untertitel "Theodor Fontane – Moritz Lazarus. Eine tragische Freundschaft" ausführt, rechtfertigt diese übervorsichtige Einleitung allemal.

Denn wieder geht es um einen "Fall". Ausgangspunkt ist eine vierhundertseitige Arbeit des Germanisten Michael Fleischer über Theodor Fontanes angeblichen Antisemitismus ("Kommen Sie, Cohn". Fontane und die Judenfrage, Berlin 1998). In der mittlerweile üblichen, vor kurzem am Beispiel Carl Schmitts exekutierten Methode (siehe JF 43/00), ist Fleischer inquisitorisch bemüht, den märkischen Wanderer als "lebenslangen Antisemiten" zu "entlarven". Solche grell-grobschlächtigen Anklagen hätten eigentlich keine Aufmerksamkeit verdient. Hat doch die Fontane-Forschung dieses Thema seit Jahrzehnten beachtet und recht differenziert bearbeitet. Doch Fleischer trifft heute auf ein besonders "sensibles" Publikum und findet prominente Verstärker. Schon auf dem Internationalen Symposium, das die Fontane-Geselschaft im Herbst 1998 in Potsdam veranstaltete, stand Karl Eh recht einsam da, als er sich in der Diskussion zum Thema "Fontane Politisch. Juden und andere Deutsche" gegen die Einstufung des Schriftstellers als Antisemiten wandte. Kurz darauf interpretierte Marcel Reich-Ranicki in der FAZ das berühmte Gedicht zum 75. Geburtstag (1894) mit der Zeile "Kommen Sie, Cohn", das Fontanes Enttäuschung über den preußischen Adel und seine Rührung über die Anhänglichkeit jüdischer Freunde widerspiegelt, mit "Zurückhaltung". Dann sprach Reich-Ranicki, im Kern immer noch wohlwollend, im Literarischen Quartett von "fürchterlichen antisemitischen Stellen" in Fontanes Briefen. Flugs gab der auf Fontanes Spuren wandelnde Schriftsteller Günther de Bruyn während der Feier seiner Berliner Ehrenpromotion opportunistisch zu Protokoll, daß seine Freude am späten Fontane nicht mehr ganz so ungeteilt sei wie früher.

Während Fleischer und Reich-Ranicki wie selbstverständlich davon ausgehen, daß es sich bei Fontanes Stellungnahmen nur um bösartige "Vorurteile" handeln könne, ist Eh in seiner Analyse der Beziehung des Dichters zu Moritz Lazarus auf der Suche nach harten Fakten. Was Eh zutage fördert, zerstört philosemitische "Vorurteile" und Schemata von "guten Juden" und "bösen Antisemiten" in recht nachhaltiger Weise.

Moritz Lazarus (1824–1903), seit 1852 mit Fontane gut bekannt, zählt zu den Begründern der Völkerpsychologie, und sein Name ist auch heute noch präsent, wenn von seinem berühmtesten Schüler, dem Philosophen und Soziologen Georg Simmel (1858–1918) die Rede ist. Doch Lazarus war nicht nur Gelehrter. Er war auch politisch engagiert im Interesse der Judenemanzipation, ein Mann mit internationalen Kontakten. Und ein Spekulant, der im großen Stil auf dem Immobilienmarkt aktiv war. Grundstückgeschäfte und riskante Geldmanipulationen führten dazu, daß sich Freunde abwandten. In Transaktionen, die man als krimininelle Veruntreuung qualifizieren darf, verschwand das Vermögen einiger Freunde und Bekannter Fontanes.

Eh kann nachweisen, daß Fleischer diese Fakten mit einem "angeblich" versieht und die Vorwürfe konjunktivisch ("soll Geld verspekuliert haben") relativiert, um sich seinen Popanz vom Antisemiten Fontane nicht selbst zu zerstören. Daß der von Lazarus tief enttäuschte Fontane gegenüber dem "Juden Lazarus" deshalb einen harten Ton anschlug, ist evident. Daß der Schriftsteller in diesem Kontext verallgemeinernd über "die Juden" räsonniert, habe jedoch "dem Ganzen einen bedenklichen antisemitischen Ton" gegeben.


 
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