© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Adenauers außenpolitische Bauernopfer
Parteienverbote in den fünfziger Jahren: Aus den Annalen der politischen Justiz
Richard M. Göttmann

Das Bundesverfassungsgericht wird die NPD verbieten. Zumindest dann, wenn der für das demnächst einhellig von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag beantragte Verbotsverfahren zuständige zweite Senat unter dem Vorsitz der Präsidentin Jutta Limbach ernst macht mit dem an sich so problematischen Diktum: Historia Magistra Vitae. Die Lehrmeister des Lebens – das wären die Amtsvorgänger der Frau Professor Limbach, die Anfang der fünfziger Jahre über die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu Gericht saßen. Hielte sich der zweite Senat demnächst an deren Interpretation von Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, der die Voraussetzungen eines Parteiverbots fixiert, dann ließe sich das für die NPD letale Verfahrensende mühelos vorhersagen.

Denn darüber herrscht unter Verfassungshistorikern in Anlehnung an Otto Kirchheimer, einen "Links-Schmittianer", Einigkeit: die einzigen Parteiverbotsverfahren, die in der fünfzigjährigen Geschichte der BRD in Karlsruhe entschieden wurden, müssen als Schulbeispiele "politischer Justiz" gelten. Folgt der Limbach-Senat also diesen Vorgaben und orientiert seine Grundgesetzauslegung allein am politisch gewünschten Resultat, dann ist schwer einzusehen, warum der von Otto Schily (SPD) und Günter Beckstein (CSU) so einmütig forcierte Verbotsantrag jene "Risiken" bergen sollte, von denen jetzt im Vorfeld des Verfahrens so oft die Rede ist.

Um die primär politischen Motive der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1952 und 1956 zu verstehen, sei kurz an die Positionen der "rechtsradikalen" SRP und der "linksradikalen" KPD in der "Restaurationsphase" der westdeutschen Teilrepublik erinnert.

Die SRP, gegründet im Oktober 1949, stand weltanschaulich wie personell weitgehend in den Fußstapfen der NSDAP. Ihr Führungspersonal um den promovierten Landwirt Fritz Dorls, den Historiker Gerhard Krüger und den an der Niederschlagung des "20.Juli" maßgeblich beteiligten Berufsoffizier Otto Ernst Remer rekrutierte sich aus zumeist vor 1933 in die Partei eingetretenen NSDAP-Funktionären der dritten Reihe, Männern und wenigen Frauen, im Durchschnitt vierzig Jahre alt, deren Karriere 1945 vorerst zu Ende war. Programmatisch hatten sie sich die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von (mindestens) 1937 und die Vollendung der mit dem Kriegsende gewaltsam unterbrochenen NS-Revolution, befreit von realpolitischen Zwängen geschuldeten "Entartungen", zum Ziel gesetzt. Also einen, wie man nach 1989 gesagt hätte,Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz. Ihrem Selbstverständnis nach war die SRP eine Sammlungsbewegung des nationalen Widerstands gegen die "Lizenzparteien" und die von den alliierten Besatzern konstituierte parlamentarische Demokratie. Das Bonner Staatsgebilde nahm sich aus dieser, die neuen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse grotesk verkennenden Optik im Vergleich mit dem tausendjährigen Bau des Reiches nur wie eine "frisch gestrichene Coca-Cola-Bude" aus. Wirtschaftspolitisch verfocht man einen sehr vagen antikapitalistischen, völkisch-volksgemeinschaftlichen "deutschen Sozialismus" jenseits von Liberalismus und Marxismus. Außenpolitisch anknüpfend an die NS-Europaideologie der Kriegszeit, propagierte die SRP eine deutsch dominierte europäische Föderation, die sich gegen die "raumfremden" Mächte USA und UdSSR weltpolitisch zu behaupten habe.

Ihren regionalen Schwerpunkt bildete die Partei in Nordwestdeutschland aus. Ihre größten Erfolge verbuchte die SRP, die im Bundestag nur mit zwei "Abtrünnigen" vertreten war, im Mai 1951 bei der Landtagswahl in Niedersachsen mit elf Prozent und bei den Wahlen zur Bremer Bürgerschaft im Herbst 1951 mit acht Prozent der Stimmen. Deutlichen Zuspruch erhielt sie in ländlich-agrarischen und mittelstädtischen, protestantischen, durch extreme Arbeitslosenzahlen geprägten Wahlbezirken wie Diepholz, Aurich, Verden oder Lüneburg, wo nahezu dreißig Prozent SRP wählten und wo schon die NSDAP überdurchschnittliche Wahlerfolge errungen hatte. Für einen nachhaltigen Einbruch ins bürgerlicher Wählerreservoir der CDU und des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) reichte es nicht. Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (1950:1,6 Prozent), Nordrhein-Westfalen (1950:0,2) und Baden-Württemberg (1952:2,4) blieb die Partei deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke. Mehr als 10.000 Mitglieder, sechzig Prozent davon in Niedersachsen, hatten Dorls und Remer zudem nicht mobilisieren können. Intern war die Entwicklung gekennzeichnet von Kräften und Tendenzen, die alle bundesdeutschen Versuche parteipolitischer Sammlung rechts von Union und FDP seitdem bestimmt haben: die menschliche Unzulänglichkeit des Führungspersonals, die dadurch bedingte Disposition zum innerparteilichen Zwist samt der durch "Ausschlüsse" begünstigten kurzlebigen "Splitterbildungen", eine von intellektueller Provinzialität zeugende, antiquierte Programmatik und einen publizistisch-propagandistischer Dilettantismus.

Wie die SRP in der Kontinuität der NSDAP, so verstand sich die im Juni 1945 zentral gegründete, in den drei Westzonen bis 1946 nach und nach lizensierte KPD in der Tradition der zwischen 1933 und 1945 weitgehend zerschlagenen Weimarer KPD, deren Erbe aber tatsächlich von der in Ost-Berlin zur Macht gelangten, aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD entstandenen SED zufiel, von der sich die KPD im Westen 1946 formell getrennt hatte. Als deren Statthalter, geführt und aufgebaut von in Moskau geschulten kommunistischen Kadern, vertrat die KPD die sowjetisch-stalinistische Politik in den westlichen Besatzungszonen. Konnte sie nach den Wahlen 1947 in die meisten Landtage mit durchschnittlich sieben Prozent der Stimmen einziehen, lag sie bereits 1952, mit Ausnahme von Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, unter fünf Prozent. Ähnlich ernüchternd fielen die Bundestagswahlen 1953 aus, wo man gegenüber den 1949 noch erreichten 5,7 Prozent auf 2,2 Prozent abglitt.

Angelpunkt der Parlamentsarbeit der KPD wie ihrer alltäglichen "Agitation der Massen" war die "nationale Frage", das heißt die Wiedervereinigung zu den Bedingungen der SED. Daraus ergab sich ihr Kampf gegen Wiederbewaffnung und Westintegration, während sie sich wirtschaftspolitisch, um der SPD wenigstens punktuelle Aktionsgemeinschaften anzubieten, zu eher sozialreformerischen Umgestaltungen der kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung bekannte. Größte Aufmerksamkeit erzielten Parteiführer wie Max Reimann oder Willi Agatz mit ihrer entfesselten, Pankower Vorgaben folgenden Rhetorik gegen die Bonner "Besatzungskriechtiere", "Marionetten" und "bezahlte Agenten" der US-Imperialisten und der "anglo-amerikanischen Gouverneure", denen man mit einem "Volksgericht" drohte.

Rückfall gegenüber politischer Freiheit vor 1933

Gegen SRP und KPD stellte die Bundesregierung im November 1951 einen Verbotsantrag, fast gleichzeitig, um, wie KPD-Sympathisanten vermuten, beide Parteien in ein "totalitäres Licht" zu rücken. Im Januar 1952 ordnete das BVerfG Durchsuchungen der Parteizentralen, regionaler Büros und Privatwohnungen von Funktionären von KPD und SRP an. Das von Polizei und Staatsschutz beschlagnahmte Material fand im Prozeß Verwendung, dürfte aber auch darüber hinaus den Verfolgungsbehörden zur Verfügung gestanden haben. Im Sommer 1952 war der "kurze Prozeß" gegen die SRP abgeschlossen. Der Versuch, dem am 23. Oktober 1952 verkündeten Verbot durch Selbstauflösung zuvorzukommen, signalisierte schon den Zerfall der SRP. Mit dem Verfahren gegen die KPD ließ man sich erheblich mehr Zeit, und selbst nach Abschluß der mündlichen Verhandlung (1955) dauerte es noch ein Jahr, bis am 17. August 1956 die lang erwartete Verbotsentscheidung fiel.

In seiner Auslegung des Artikels 21 hatte das BVerfG eine Reihe von vagen Grundsätzen formuliert. Danach sei eine Partei verfassungswidrig, wenn sie in "kämpferischer, aggressiver Haltung" die "obersten Prinzipien einer freiheitlich demokratischen Grundordnung" (FDGO) beseitigen wolle. Auf konkrete Handlungen oder auf die Erfolgsaussichten einer solchen Zielsetzung komme es dabei nicht an. Diese Auslegung stellte also ausschließlich auf die subjektiven Intentionen der Partei ab. Daß weder SRP noch KPD, ausweislich ihrer mäßigen Wahlerfolge und der überschaubaren Anhängerschaft, jemals eine ernsthafte Gefahr für den Bestand der BRD evozierten, mußte daher für das BVerfG irrelevant sein. Diese weite Auslegung des BVerfG verdeckte nur notdürftig, daß die Verbote gar nicht dem präventiven Staats- und Verfassungsschutz dienten. Denn zum Verbotsantrag gegen die SRP sah sich das in Wiedergutmachungs-Verhandlungen mit Israel stehende Adenauer-Kabinett durch "ausländischen Druck" und die "Empörung" über die personelle und programmatische Identität der Partei mit der NSDAP genötigt. Auch im Fall der KPD führten außenpolitische Gründe zur Antragstellung. Das Verbot war gedacht als BRD-Beitrag zur Politik des "Kalten Krieges", um die Bonner Republik dem Westen als zuverlässigen Bündnispartner zu empfehlen.

Der gar nicht zu überschätzende verfassungsrechtliche Ertrag dieser beiden Verbotsprozesse besteht damit in der "Verkürzung des legalen Handlungsspielraums politischer Opposition" (so der weit links stehende BVerfG-Kritiker und Hamburger Rechtsanwalt Horst Meier). Läßt sich doch die von der BVerfG-Interpretation des Artikels 21 definierte Gefahrenlage nur paradox formulieren: "Diese Lage zeichnet sich durch ihre aktuelle Gefahrlosigkeit aus."(Meier)

Die gar nicht paradoxe und für das bevorstehende NPD-Verbot höchst relevante Pointe dieser Auslegung ergibt sich daraus, daß das BVerfG Artikel 21 Absatz 2 in einen Tatbestand des "ideologischen Hochverrats" uminterpretiert hat. Das BVerfG betrachtet (unter stillschweigender Adaption zentraler Theorme Carl Schmitts!) die FDGO-Loyalität aller politischen Parteien als materielle Funktionsvoraussetzung der parlamentarischen Demokratie. Die eingeforderte Treue zur Überverfassung der "Grundwerte" bedroht jede fundamentale Opposition mit dem Verbot. Damit gäbe es aber gute Gründe, mit einem berühmten KPD-Sympathisanten, dem Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth zu fragen: "Wollte Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes wirklich den Bereich der Freiheit für politische Auseinandersetzungen hinter den Stand zurückwerfen, der im Deutschen Reich zwischen 1890 und 1933 als unumstritten und selbstverständlich gegolten hat?"


 
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