© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Die Wahl der Hungrigen und Verzweifelten
Rumänien: Die Neokommunisten kehren nach vier Jahren an die Macht zurück / Tudor erzielt 27 Prozent
Ivan Denes / Jörg Fischer

Es war fast symbolisch: Im vergangenen rumänischen Wahlkampf warb die Arbeiterpartei PMR mit dem Konterfei des im Dezember 1989 hingerichteten Diktators Nicolae Ceausescu. "Mich haben sie erschossen. Aber habt Ihr deshalb ein besseres Leben?" hieß es etwa auf einem PMR-Wahlplakat in der Stadt Bacau im Osten Rumäniens. Die Wahlwerbung erinnerte die Wähler an die "Errungenschaften", die der kommunistische Diktator dem Land angeblich gebracht hat: Fabriken, Wasserkraftwerke, Bewässerungssystem und die U-Bahn. "Wenn Sie mich vermissen, wählen Sie die PMR, die die Nachfolge der Kommunistischen Partei angetreten hat", hieß es weiter auf den Plakaten.

Die PMR selbst wird zwar nicht im nächsten rumänischen Parlament vertreten sein, doch die überwältigenden Wahlsieger lassen keine bessere Zukunft für das mit Abstand größte Armenhaus des Balkans erwarten: Aus den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 26. November in Rumänien sind die neokommunistische Partei der Sozialen Demokratie (PDSR) und die neofaschistische Großrumänien Partei (PRM) als unangefochtene Sieger hervorgegangen – deutlicher, als von den Meinungsforschern vorhergesagt. Offenbar hat sich die große Mehrheit der rumänischen Bevölkerung für die erdenklich reaktionärste, reformfeindlichste Lösung entschieden.

Genaue amtliche Zahlen sind nicht vor Redaktionsschluß zu erwarten, aber es wurden relativ zuverlässige Erhebungen an den Wahllokalausgängen ermittelt. Nach Befragung von 20.000 Wählern hat sich für die Parlamentswahlen folgendes Bild ergeben: Etwa 39 Prozent für die PDSR, 22 Prozent für die PRM, die Nationalliberalen (PNL) erreichen nur noch zehn Prozent, die Demokratische Partei (PD des ehemaligen Ministerpräsidenten und gegenwärtigen Außenministers Petre Roman) kommt auf sechs Prozent und der Verband der Ungarn in Rumänien (RMDSz) erzielt fast sieben Prozent.

Das rumänische Wahlgesetz sieht vor, daß Wahlbündnisse nicht fünf Prozent wie einzelne Parteien, sondern zehn Prozent der Stimmen gewinnen müssen, um ins Parlament einzuziehen (das rumänische Parlament hat zwei Kammern). Daher blieb auch die zur Zeit regierende "Demokratische Konvention 2000" – mit etwa sechs Prozent – ohne Vertretung im zukünftigen Parlament.

Erstaunliches Fazit: Die prowestlichen Parteien – die auch in den Genuß verschiedener finanzieller Zuwendungen westlicher "Stiftungen" gekommen sind – sind die eindeutigen Verlierer. Die moralisch-politischen Spuren des Ceausescu-Regimes sind so tief in die Gesinnung der rumänischen Wähler eingeätzt, daß es eine Generation dauern wird, bis die Reformunwilligkeit, die Korruption, der selbstherrliche Chauvinismus und die Ablehnung westlicher Ideale und Maßstäbe besiegt werden können.

Bei den Präsidentschaftswahlen gewann der ehemalige Sekretär des ZK der KP Rumäniens und (nach dem Sturz Ceausescus) mehrfache Präsident Ion Iliescu 37 Prozent der Stimmen, der Führer der Großrumänen und "Hofdichter" Ceausescus, Corneliu Vadim Tudor immerhin 27 Prozent (siehe auch JF-Bericht über Tudor in 34/00). Der ehemalige Ministerpräsident und Kandidat der Liberalen, Theodor Stolojan, kam auf 16 Prozent, der amtierende Ministerpräsident (und ehemaliger Gouverneur der Nationalbank) Mugur Isarescu, der von Teilen der Regierungskoalition – darunter der traditionsreichen Nationalen Bauernpartei – unterstützt wurde, erhielt 10,5 Prozent. Neben Ex-Außenminister Teodor Melescanu von der "Allianz für Rumänien" (ApR) traten noch weitere Außenseiter an, wie Prinz Paul-Philipp von Hohenzollern, ein Halbbruder von Ex-König Michael I., von der "Nationalen Versöhnungspartei" (PRN), der Liberaldemokrat Niculae Cerveni oder der Stalinist Ion Sasu – alle scheiterten kläglich.

Da keiner der Präsidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit erzielen konnte, wird es am 10. Dezember zu einer Stichwahl kommen. Allerdings wird gemäß den vorliegenden Erkenntnissen dann kein demokratischer Kandidat mehr auftreten. Es wird erwartet, daß die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl unter die 50 Prozent Marke rutschen werde – am Sonntag begaben sich nur etwas mehr als 56 Prozent der 17,7 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen. Offen bleibt die Frage, mit wem jetzt die PDSR koalieren wird. Iliescu hat zwar erklärt, er wolle zusammen mit der PNL und der Ungarn-Partei regieren und die Nationalliberalen sind zwar als notorische Opportunisten berüchtigt, aber da sie angesichts der Parlamentsmehrheiten nicht den Hauch einer Chance haben, liberale Politik durchsetzen zu können, ist wahrscheinlicher, daß sie eine Koalition mit der PDSR ablehnen werden.

Eine Koalition mit der Partei der Ungarn würde wahrscheinlich rein zahlenmäßig keine Mandatsmehrheit ergeben. Der PDSR-Premierminister-Kandidat Adrian Nastase kann sich eine Zusammenarbeit mit der PRM "vorstellen". Und Iliescu sagte dem Berliner Tagesspiegel ausweichend: "Als Koalitionspartner kommen sie nicht in Frage. Parlamentarische Unterstützung ist eine andere Sache." Was von Tudor wirklich zu erwarten ist, weiß bislang wohl niemand außer ihm. Einen Vorgeschmack gab er anläßlich einer Wahlveranstaltung vor einer Woche in der südrumänischen Industriestadt Ploiesti. Im Elvis-Presley-Look mit lilafarbener Sonnebrille versprach er, wenn er an die Macht käme, wolle er den Ausnahmezustand ausrufen, der Mafia den Garaus machen und ein "Komitee zur Verfolgung antirumänischer Aktivitäten" gründen. Hinsichtlich der Perspektiven Rumäniens auf Integration in die EU, sagte Tudor, die EU müsse Rumänien zunächst davon überzeugen, daß eine Mitgliedschaft für das Land günstig sei, bevor er sich für einen Beitritt einsetze. Wenn er Präsident werde, "beginnt ein neues Leben. Die Mafia wird ausgemerzt." Er sei kein Extremist, sondern "der Führer der Zerlumpten, Hungrigen und Verzweifelten in Rumänien" – wovon es in Rumänien leider Millionen gibt.

Mit dieser Partei hatte Iliescu bereits zwischen 1992 und 1996 regiert. Es läuft daher wohl auf eine Art "Magdeburger Modell" hinaus – sprich einer "Duldung" einer PDSR-Regierung durch die PRM. Denn eine offene Koalition der PDSR mit der PRM (und Ministern von Tudors Gnaden) würde in den USA, besonders aber an der US-Ostküste, einen Sturm der Entrüstung auslösen. Es würde nicht nur zu einer verschärften Isolierung Rumäniens im europäischen Kontext führen, sondern womöglich sogar zu diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Sanktionen. Rumänien ist zwar kein Mitglied der EU, aber verglichen mit Corneliu Vadim Tudor erscheint Jörg Haider –der "Anlaß" des gescheiterten EU-Boykotts – als unschuldiges Lamm, als ein politischer Gentleman, der die Mitgliedschaft im Londoner "Queen’s Club" mit Recht beanspruchen könnte.

Doch zuvor treten Iliescu und Tudor am 10. Dezember noch bei einer Stichwahl gegeneinander an – Iliescu wird dann wohl den einen oder andern Euro oder Dollar mehr zur Verfügung haben. György Frunda, Präsidentenkandidat der bisher mitregierenden Partei der ungarischen Minderheit UDMR, kündigte schon an, daß die 1,7 Millionen Ungarn in Rumänien für Iliescu stimmen werden.

Und auch die bürgerlichen Parteien werden wohl von ihren westlichen Partnern zur Unterstützung Iliescus aufgerufen werden – nach dem Motto: Iliescu ist das kleinere Übel.


 
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