© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Reemtsmas neue Bescheidenheit
Wehrmachtsausstellung: Kommission legt Bericht vor / Ein Gespräch mit dem Publizisten Meinrad Freiherr von Ow
Philip Plickert

Er sei ja so bescheiden geworden, erzählt er jedem, der es wissen will: Hannes Heer, ehemaliger Chefankläger der Wehrmacht und früherer Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung von Jan Philipp Reemtsma. Wohl um seine "Läuterung" auch optisch zu unterstreichen, hat sich Heer den öligen Pferdeschwanz abgeschnitten. Der Zopf ist weg, es bleibt ein Unbehagen. Die neue Demut, sie paßt so gar nicht zu dem Mann, der seriöse Kritiker gerichtlich verfolgen ließ und noch im Mai 1999 triumphierend verkündete, die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" habe es endlich geschafft, "diesen Vernichtungskrieg in die Familien zu ‘kippen’, wo die Soldatenrolle der Väter und Großväter heute hinterfragt und in einem anderen Licht gesehen wird." Sein früherer Mentor Reemtsma spricht heute von "agitatorischem Furor".

Daß die Wehrmacht als ganzes eine verbrecherische Organisation gewesen sei, dazu steht Heer immer noch. Um diese Thesen zu belegen, trug Heer alles Material zusammen, dessen er habhaft werden konnte. Die Argumentation stützte sich vor allem auf über 1.400 Fotographien besonders aus osteuropäischen Archiven, spärlich erläutert durch zumeist plakative Texte. Nach Angaben des Instituts sahen über 850.000 Menschen in 33 Städten die Wehrmachtsausstellung. In München, wo die Ausstellung zu heftigsten Kontroversen führte, gab Oberbürgermeister Christian Ude am 24. Februar 1997 zu Protokoll: "Kein einziges Dokument der Ausstellung kann widerlegt und kein Foto dementiert werden."

Der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial wies nach, daß einige Bilder nicht die Wehrmacht belasteten, sondern Opfer des sowjetischen NKWD zeigten. "Als ich diese Bilder sah, beschlich mich von Anfang an ein ungutes Gefühl", erzählt Musial. Mit Hilfe von Zeitzeugen konnte der heute am Deutschen Historischen Institut in Warschau tätige junge Historiker die Entstehungsgeschichte der umstrittenen Bilder klären. Sie zeigen eindeutig Mordopfer der Russen. Erst später kamen deutsche Soldaten, exhumierten die Toten und dokumentierten das Verbrechen. In mehr als zwanzig Orten Ostgaliziens fanden Wehrmachtstruppen in den ersten Tagen des "Unternehmens Barbarossa" massenhaft Leichen von NKWD-Häftlingen (siehe die Besprechung von Musials Buch "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941", Berlin 2000, JF 38/00) – kein Wort davon in der Ausstellung. Musials ungarischer Kollege Krisztián Ungváry, ebenfalls durch Recherchen zur Ausstellung bekannt geworden, wagte die kühne These, nur zehn Prozent der Bilder belegten tatsächlich Verbrechen der Wehrmacht, weitere zehn Prozent zeigten fremde Opfer, und der Rest der Fotos stelle das "normale" Kriegsgeschehen dar.

War ein neutrales Urteil zu erwarten?

Angesehene Historiker wie Lothar Gall, Hans-Peter Schwarz oder Horst Möller, der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, forderten die Schließung der Ausstellung, da die Grundthese von der "verbrecherischen Wehrmacht" nicht haltbar sei. Da zog Reemtsma die Notbremse. Er verordnete eine Zwangspause von zunächst drei Monaten, dann berief er eine achtköpfige Kommission zur Überprüfung des gesamten Materials. Kritiker meldeten Bedenken an: "Jan Philipp Reemtsma hat die Gutachter und die drei Historiker, die ein Jahr lang die Exponate geprüft haben, ausgewählt und finanziert. Ich halte das nicht für einen guten Stil, denn er kann den Verdacht einer Abhängigkeit aufkommen lassen", bemängelt der bayerische Publizist Meinrad Freiherr von Ow im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Einige Mitglieder der Kommission hätten die Ausstellung in der Vergangenheit bedingungslos unterstützt und arbeiteten schon länger mit dem Institut für Sozialforschung zusammen. Ist von solchen Wissenschaftlern ein neutrales Urteil zu erwarten?

Nach insgesamt neun mehrtägigen Sitzungen haben Omer Bartov (New York, der wohl entschiedenste Propagandist der Thesen Heers), Reinhard Rürup (lange Leiter der Ausstellung "Topographie des Terrors") Cornelia Brink (eine Schülerin Rürups), Gerhard Hirschfeld (Stuttgart), Friedrich P. Kahlenberg (Koblenz), Manfred Messerschmidt (Freiburg), Christian Streit (Heidelberg) und Hans-Ulrich Thamer (Münster) vergangene Woche in Hamburg ihren fast 90 Seiten starken Abschlußbericht vorgelegt. Fälschungsvorwürfe seien sorgfältig geprüft worden, und man habe sich "auch mit der Frage beschäftigt, bis zu welchem Grade Verkürzungen und Überspitzungen historischer Aussagen im Medium der Ausstellung zulässig oder sogar notwendig seien". Die Wissenschaftler kritisieren einen "bemerkenswert unbekümmerten Gebrauch fotografischer Quellen" und stellen fest, die Ausstellung argumentiere teilweise "zu pauschal und unzuverlässig verallgemeinernd". Die Argumentation solle "weniger durch den Gestus der Staatsanwaltschaft als durch die Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft geprägt sein".

Die "mitunter sehr plakativen und den Inhalt verkürzenden Überschriften" gäben der Ausstellung eine Grundorientierung, den Fotos komme aber die entscheidende Rolle zu. Hier hätten Heer und seine Mitarbeiter ziemlich geschlampt. Jede Menge Fotos sind falsch zugeordnet worden, Bildunterschriften sowjetischer Historiker wurden kritiklos übernommen, manchmal allerdings erfanden die Ausstellungsmacher auch neue, "ohne daß ihre Gründe in jedem Fall nachvollziehbar waren". Man habe nicht bedacht, unter welchen Umständen die Fotos in die Archive gelangten und daß sich darunter eventuell auch Propagandabilder befinden könnten. In verschiedenen Archiven befinden sich zum Teil unterschiedliche Ausschnitte ein und desselben Fotos. Die Ausstellungsmacher entschuldigen sich, sie seien naiv gewesen und ihre Fehler spiegelten nur den Zustand der Archive wider. Das will von Ow nicht gelten lassen. Heer habe zweifelhaftes Material bewußt akzeptiert, wenn es nur ein negatives Bild der Wehrmacht gezeichnet habe.

Die Reemtsma-Kommission dagegen kommt zu dem Ergebnis, die Ausstellung enthalte keine Fälschungen "im Sinne der leitenden Fragestellung und Thesen". Die meisten Zeitungsberichte ignorierten den Nachsatz, er ist jedoch entscheidend. Von Ow erklärt dazu der JUNGEN FREIHEIT: "In einem längeren Gespräch hat mir Professor Hirschfeld diesen neugeschaffenen Begriff damit begründet, daß ein ‘umstrittenes Dokument’ wie das Heidenreich-Tagebuch dann nicht als Fälschung bezeichnet werden kann, wenn andere Dokumente ähnliche Vorgänge nachweisen und damit den ‘umstrittenen’ Unterlagen Glaubwürdigkeit verleihen." Die Aufzeichnungen der Gefreiten Richard Heidenreich sind möglicherweise eine sowjetische Propagandaschrift. Da auch andere Quellen die geschilderten Ereignisse bestätigen, wird nach Hirschfelds abenteuerlicher Interpretation die Frage nach der Echtheit sekundär.

Über allem schwebt der Geist Ernst Noltes

Zu der krassen These Heers, die Wehrmacht sei von Ende 1942 "auf Himmlers Kurs gewesen", beklagt die Kommission das "Versäumnis", es sei nicht gezeigt worden, "daß es in der Wehrmacht auch Widerstände gegen die Judenmorde gab". Dennoch kommt die Kommission in ihrer abschließenden Bewertung zu dem Ergebnis, die Wehrmachtsausstellung sei ungeachtet aller Fehler und zweifelhaften Thesen "sinnvoll und nötig" gewesen sei. Darum empfiehlt sie, die Ausstellung "in einer gründlich überarbeiteten, ggf. auch neu zu gestaltenden Form weiter zu präsentieren". Reemtsma will nach Zeitungsberichten die Zahl der Fotos etwas reduzieren. Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT soll die Ausstellung im Untertitel nicht mehr "Verbrechen der Wehrmacht" sondern "Fortsetzung der Debatte" heißen. Damit solle der Charakter eines "work in progress" unterstrichen werden. Zunächst wird ein apodiktisches moralisches Urteil über eine ganze Generation deutscher Soldaten gefällt und Tausenden von Schulklassen als "die Wahrheit" präsentiert. Dann heißt es, alles sei noch "work in progress".

Auf einmal erklärt Reemtsma, es sei für ihn denkbar, die "gegenseitige Verschränktheit der nazistischen und der kommunistischen Barbarei" zu thematisieren. Bogdan Musial, mit dem er in der Welt geradezu freundschaftlich plaudert, ist überzeugt: "Die sowjetischen Verbrechen und ihre Aufdeckung zu Beginn des Krieges haben die Brutalisierung dynamisiert." Über allen Diskussionen schwebt immer der Geist Ernst Noltes. Um nicht in "Nolte-Verdacht" zu gelangen, habe man die stalinistischen Verbrechen lange Zeit verdrängt, erklärte Reinhard Rürup vergangene Woche bei der Präsentation des Kommissionsberichts. Heute sei man weiter. Auch Reemtsma ist bescheidener geworden. Auf die Frage der Welt, ob dann nicht "die Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen" in den Hintergrund trete, entgegnete er überraschend: "Da ist sie wieder, diese Relativierungsangst."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen