© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Pankraz,
Konrad Adam und die Wissenschaft als Theater

Man soll das Kind nicht mit dem Bade aus schütten, rät das Sprichwort. Was aber, wenn das Kind gar nicht ins Bad hineingehört, gar nicht wirklich baden, sondern nur herumplantschen will? Dann geht es darum, das Kind ohne das Bad auszuschütten – ein schwieriges Unterfangen, wie das Beispiel Konrad Adam zeigt.

In der neuen Nummer des Merkur riskiert er eine gewaltige Philippika gegen die Popularisierung von Wissenschaft, gegen ihre "Inszenierung" zum Zwecke der öffentlichen Wahrnehmungssteigerung, und das nur, weil einige Popjournalisten (das Kind im Bade) den Geist der Wissenschaft mit einem zeitgenössischen Entertainer und Spaßmacher verwechseln. Sie wollen die Wissenschaft grell aufschminken und mit flotten Sprüchen ausstatten, damit sie endlich zum "Event" und zur umgrölten Stimmungskanone werden kann. Adam nimmt daran Anstoß, und das ist wohl richtig.

Aber daß die Naturwissenschaft näher an die Öffentlichkeit herangebracht werden muß, daß sie also popularisiert werden muß, ist mindestens ebenso richtig. Mehr als je zuvor gilt heute: Die Naturwissenschaft ist unser aller Schicksal. Riesige Teile des Sozialproduktes müssen für sie zur Verfügung gestellt werden. Begabter Nachwuchs an Naturforschern muß herangezogen werden. Verständnis für gewisse von der Wissenschaft bewirkte Makro-Veränderungen muß erzeugt werden. Wie will man denn all das schaffen ohne Popularisierung, ohne intensive "Öffentlichkeitsarbeit"?

Naturwissenschaft ist kei neswegs bloßes Fliegenbeinezählen, keine "hochspezialisierte Bandwurmkunde" (Nietzsche), sie ist spannend und die Seele bewegend, spannender als jeder Fernsehkrimi, bewegender als jedes Popkonzert. Ihr Abtriften in verbissenes Spezialistentum und hochabstrakte Fachsprache war gerade den größten Naturforschern, Heisenberg, Schrödinger, Feynman, Wheeler, immer ein schweres Ärgernis, das sie mit populären Vorträgen und Büchern aus der Welt zu schaffen trachteten.

Doch leider blieben auch diese "populären Reader" von Heisenberg u. a. für das uneingeweihte Publikum ziemlich unlesbar. Denn die logischen Verhältnisse etwa der Heisenbergschen Unschärferelation ließen sich zwar mit Hilfe mathematisch-physikalischer Formeln durchaus exakt wiedergeben, mit populärer Alltagssprache aber nicht, auch wenn man sich noch so viel Mühe gab.

Heisenbergs Berechnungen zufolge ist es unmöglich, zu gleicher Zeit präzise Informationen über Standort und Geschwindigkeit eines Teilchens zu erhalten. Das bedeutet, daß man in alle Ewigkeit von keinem Teilchen mehr als von einem geometrischen Objekt sprechen darf, so wie man vom Gesicht eines Menschen oder vom Körper eines Hasen spricht. Die Struktur des Teilchens entzieht sich einfach der kommunen Sprachvernunft. Wir sehen die Stimmigkeit der Formeln, die uns die Teilchenphysiker an die Tafel schreiben, aber vernünftig darüber reden können wir nicht.

Nicht anders steht es in der Kosmologie. Was zum Beispiel Wheeler in seinem "populären Reader" über die Zustände mitteilt, die in den "Schwarzen Löchern" des Weltraums unterhalb der sogenannten Schwarzschildoberfläche herrschen, liest sich wie aus dem Inneren eines Irrenhauses. Ein Raumschiff zum Beispiel, das in ein solches Loch hineingeriete, würde sich andauernd selber überholen, das heißt es käme in eine Zeit hinein, die rückwärts läuft, was sich kein Laie und letztlich auch kein Wissenschaftler vorstellen kann. Da helfen auch allerfeinste Sprachspiele nicht.

Ein gewaltiges, schönes, philosophisches Problem tut sich auf: Was in der einen Sphäre, nämlich in der von der Mathematik angeleiteten Naturwissenschaft, in sich logisch und stimmig erscheint, erzeugt in der anderen, in der auf unsere Sinnen- und Lebenswelt bezogenen, von Metaphern angeleiteten Sprache des Alltags nur Frust und Verwirrung. Wir können nicht erklären, ohne Verwirrung zu stiften.

Die Wissenschaftssprache ist nicht Verständi gungsmittel sui generis, sondern ein Werkzeug, mit dessen Hilfe wir unser natürliches Menschsein in vielerlei Richtung übersteigen können, in Richtung auf Veränderung der Natur und in Richtung auf Vorstöße weit über das uns von unserem, uns von der Evolution angezüchtetem, Erkenntnisapparat vorgegebene Maß hinaus in unendlich ferne Mikro- und Makrowelten. Aber richtig bekömmlich ist uns das nicht. Die moderne Wissenschaft macht uns das Leben bequemer und zweifellos auch interessanter, aber wir bleiben ihr gegenüber ausgesprochen mißtrauisch, denn sie ist letztlich der Einbruch eines uns Fremden und machmal sogar Gefährlichen in unsere Lebenswelt.

Bloße Erklärung, bloße "Aufklärung" genügt nicht, um das Mißtrauen abzubauen. Wir müssen vielmehr genau das tun, was Konrad Adam in seinem Merkur-Aufsatz so sehr denunziert und verhöhnt: Wir müssen ein Theater aus der Wissenschaft machen, sie im Spiel, auch im Fernsehspiel oder im "Event" auf dem Marktplatz, als Schicksal erahnbar und aushaltbar machen, ihre Gefahren mimetisch einhegen und damit bannen, so wie die Tragiker der Antike, Sophokles, Euripides, in ihren Stücken und Regietaten die damals waltenden Schicksalsmächte benannten und bannten. Anders geht es nicht mehr.

Adam mißtraut den Regisseuren. Sie würden Lessing oder Tschechow in ihrem modernen Regietheater auf unsägliche Weise verhunzen, und deshalb würden sie auch die Wissenschaft verhunzen, sobald sie einmal Blut geleckt hätten. Was die Wissenschaft vortrage, lasse sie völlig kalt, einzig wichtig sei es für sie, daß es "schriller tönt als bei der Konkurrenz. Wer lang und laut genug herumschreit, wird schon die Leute finden, die ihm glauben".

Daran ist so viel wahr, daß die Qualität der Regisseure wie des Publikums, der Leute, verbessert werden muß. Kinder, die das Bad nur ausschütten, müssen erwachsen werden.
 
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