© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000


Freiheitliche mit schwachen Nerven
Österreich: Die "Spitzel-Affäre" und FPÖ-Ministerrücktritte belasten die Koalition – "Rote Seilschaften" bei den Beamten
Carl-Gustaf Ströhm

G ibt es eine Krise der "bürgerli chen" Wiener Koalition? Mehr noch: Sind bürgerliche Koalitionen in Mitteleuropa dazu verurteilt, an der Uneinigkeit und Zerstrittenheit ihrer Partner zu scheitern? Die Frage ist nicht ganz abwegig, wenn man die Stimmung innerhalb der schwarz-blauen Bundesregierung betrachtet.

Die sogenannte "Spitzel-Affäre" hat die Nerven der führenden FPÖ-Politiker ziemlich strapaziert. Aufgrund einer Veröffentlichung des ehemaligen Polizeibeamten und Haider-Sympathisanten Josef Kleindienst stand die Behauptung im Raum, führende FPÖ-Politiker hätten über einzelne FPÖ-nahe Beamte den österreichischen Polizeicomputer benutzt, um Daten über politische Gegenspieler und ähnliches herauszufischen.

So wurde deswegen ein Polizeibeamter vom Dienst suspendiert, der als Leibwächter im Personenschutz für Jörg Haider in Klagenfurt Dienst tut (die Suspendierung wurde inzwischen vom Innenministerium wieder aufgehoben). Mehrere FPÖ-Mandatare stehen in Salzburg und Wien stehen unter Verdacht, am "Datenklau" beteiligt zu sein. Der FPÖ-Landesvorsitzende für Wien, Hilmar Kabas, verzichtete auf seine Abgeordneten-Immunität. Beim ersten Mann der FPÖ in der Hauptstadt wurde sogar eine Hausdurchsuchung vorgenommen – was manche Beobachter zu der Feststellung veranlaßte, der sozialistische Apparat habe auch nach dem Abgang in die Opposition noch genügend Macht.

Ins Kreuzfeuer der Kritik Haiders und der Freiheitlichen ist der zum linken ÖVP-Flügel gehörende Innenminister Ernst Strasser geraten. Haider warf ihm vor, sein Ministerium nicht unter Kontrolle zu haben. Die FPÖ sprach von "roten" Einflußbereichen und SPÖ-Seilschaften innerhalb des Ministeriums. Haider drohte sogar, die FPÖ werde den Kopf des Innenministers verlangen, wenn dieser nicht den "roten" Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Buxbaum, ablöse. Der solchermaßen vom Koalitionspartner attackierte ÖVP-Minister sprach dem SPÖ-nahen Sicherheitsdirektor sein Vertrauen aus – und Kanzler Wolfgang Schüssel wiederum gab zu verstehen, er werde sich seinen Parteifreund und Innenminister nicht "herausschießen" lassen.

Die Nervosität der FPÖ ist aus zwei Gründen nachvollziehbar: Erstens zweifelt kaum jemand daran, daß auch sozialistische und christdemokratische Politiker bei Bedarf auf den Computer – oder in früheren Zeiten auf einschlägige Karteien – zurückgegriffen haben. Die meist linksgestrickten Nachrichtenmagazine der österreichischen Hauptstadt wie Profil und Format waren schon in der Vergangenheit immer wieder mit vertraulichen Akten und Informationen bestückt, die kaum auf legale Weise in die Öffentlichkeit gelangt sein konnten. Wenn zwei dasselbe tun, ist es aber offenbar nicht dasselbe: Die vielleicht nicht immer sonderlich geschickten Versuche der FPÖ auf diesem Gebiet haben ein skandalisierendes Medienecho ausgelöst.

Zum anderen spürt die FPÖ, daß sie als "Vize"-Partner der Koalition die Last unpopulärer Maßnahmen auf sich nehmen muß und daß sich gewisse Wählerschichten aus der Oppositionszeit von ihr abwenden. Das könnte dazu führen, daß die FPÖ – wie in der Steiermark bereits vorexerziert – um mehrere Prozentpunkte absinkt. Auch eine FPÖ mit 20 – statt jetzt 27 – Prozent wäre ein einflußreicher Koalitionspartner. Manchmal sieht es so aus, daß die Gegenseite bewußt in den seelischen Wunden der Freiheitlichen Partei herumstochert und die "Sollbruchstellen" zwischen ÖVP und FPÖ herauszufinden trachtet. Manche FPÖ-Politiker lassen sich von den linken Parteien und Medien provozieren – und reagieren dann genau so, wie manche es von ihnen erhoffen. Dann werden Haider und seine (leider nicht immer sehr erfahrenen und abgebrühten) jungen Leute als "Egozentriker", als "unzuverlässig" und "nicht paktfähig" dargestellt. Erschwerend kommt hinzu, daß es der FPÖ bis heute nicht gelungen ist, auf dem Mediensektor irgendwie zu reüssieren. Fast die gesamte veröffentlichte Meinung ist gegen Haider und seine Partei, allenfalls die Neue Kronen Zeitung findet manchmal lobende Worte.

Wer einigermaßen analytisch denkt, ist sich darüber klar, daß ein Scheitern der jetzigen ÖVP-FPÖ-Koalition auf lange Zeit das Ende für jegliche "bürgerliche" Regierung in Österreich bedeuten würde. Es wäre aber auch das Ende der FPÖ; sie müßte dann auf Jahre hinaus eine ohnmächtige Oppositionsrolle spielen. Deshalb sind ÖVP und FPÖ zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Die Frage ist nur, ob beide das erkennen.


 
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