© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Die Affäre Rudolf Augstein
Lächerlichkeit ohne Grenzen
Andreas Wild

Die Hysterie der PC-Wächter beim Kampf "gegen Rechts" wird immer hysterischer. Ihr jüngstes Opfer ist kein geringerer als der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein (77), dem der diesjährige, mit 40.000 Mark dotierte "Ludwig-Börne-Preis für besondere Leistungen in Essay, Kritik und Reportage" verliehen werden sollte.

Die Verleihungsfeier war für den 5. November in der Frankfurter Paulskirche anberaumt. Aber nachdem im Internet und in einigen Zeitungen und Zeitschriften maliziöse Insinuationen gegen den Preisträger in spe lanciert worden waren, wurde das Ereignis kurzerhand "auf unbestimmte Zeit verschoben", angeblich wegen Krankheit Augsteins (der zur gleichen Zeit so gesund, wie man als 77jähriger eben sein kann, regelmäßig den Redaktionskonferenzen des Spiegel beiwohnte).

Die Liste der Vorwürfe gegen Rudolf Augstein ist lang. Er denke "ausgesprochen national", wird angeführt, habe in seinem langen Leben auch manche respektlose Bemerkung über die Juden gemacht, sei gegen das Berliner Holocoust-Denkmal in seiner geplanten Form und unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu Martin Walser auch noch nach dessen "skandalöser" Friedenspreis-Rede von 1998. Außerdem habe Augstein in der Frühzeit des Spiegel Redakteure mit SS-Vergangenheit beschäftigt und seinerzeit offen die "Geschichtsfälscherthese" von der Alleinschuld des Marius van der Lubbe für den Reichstagsbrand von 1933 vertreten.

Selbstverständlich würde kein einziger dieser "Vorwürfe" ausreichen, um dem Spiegel-Herausgeber den Preis abzuerkennen. Aber auf Augstein selbst scheint die Affäre großen Eindruck gemacht zu haben. In der letzten Nummer seines Magazins publiziert er unter dem Titel "Meine Leitkultur war jüdisch" einen weinerlichen Artikel über seine Militärzeit an der Ostfront, wo er phasenweise als "Truppenbetreuer" in der Etappe Bunte Abende organisiert habe; dabei habe er immer wieder Melodien mit Texten des jüdischen Librettisten Fritz Löhner-Beda gesungen. Sei das denn nichts?

Inzwischen gerät im Zusammenhang mit der "Affäre Augstein" auch der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ins Fadenkreuz der Meinungs-Aufseher. Schirrmacher sei es gewesen, der – als satzungsgemäßer diesjähriger Allein-Juror des Ludwig-Börne-Preises – Augstein als Preisträger ausgewählt habe, und er habe auch die Laudatio auf ihn halten sollen. Sei es aber nicht derselbe Schirrmacher gewesen, der damals beim Friedenspreis auch die Laudatio auf Martin Walser gehalten habe? Da gebe es offenbar "Zusammenhänge", da existiere offenbar ein "nationales Mediennest", das von einer wachsamen öffentlichen Meinung ausgeräuchert werden müsse.

Der unvoreingenommene Leser fragt sich freilich mittlerweile kopfschüttelnd, wie lange sich die hiesige öffentliche Meinung solche Kampagnen eigentlich noch gefallen lassen will. Schließlich hat alles seine Grenzen, auch die Lächerlichkeit.


 
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