© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Kino: Lars Beckers Film "Kanak Attack" läßt tief blicken
Krieger der "Mültükültür"
Ellen Kositza

Es ist, zunächst einmal, die Geschichte von Ertan Ongun, die hier erzählt wird. 25 Jahre, geboren und wohnhaft in Kiel, vorbestraft. So protokolliert es der Kommissar in der Eingangsszene des Films. Die türkische Abstammung spielt als Wurzelgrund keine Rolle, sie dient hier als Etikett, Markenname, als Hinweis allein auf die Rolle, die hier, im großstädtischen Nordwesten Deutschlands zu spielen ist. Als "Deutschländer" und "Kanaken" – so sehen Ertan und seine multiethnische, multikriminelle Gang sich selbst. Ertans waffenschwerer Weg durch die Zuhälter- und Drogendealerszene wird hier mittels dreizehn Episoden protokolliert, die so episodisch jedoch nicht sind, da sie einen bruchlosen, wenn auch nicht zielgerichteten Zusammenhang ergeben. Zu Beginn stirbt Farouk, erschossen von einem Pfandleiher. Farouks "Mädchen", zwei Nutten, laufen jetzt frei. Auf der Suche nach einem neuen Zuhälter wenden sie sich an Ertan. Der lehnt eigentlich ab (eine Frage der Ehre) und kommt dennoch in Konflikt mit den Bordellbesitzern Zlatko und Attila, die die beiden Huren in ihr Etablissement übernehmen wollen. Das Reviergebaren der Zuhälter gegenüber Ertan und seiner Bande wird nun zu einem der roten Fäden, die diesen Milieu-Alltag durchziehen. Zum zweiten Hauptthema wird Ertans Verstrickung in Drogengeschäfte, dies sowohl als längst abhängiger Konsument wie auch als Händler mit zunehmend florierenden Geschäften.

Die Gang tanzt – verwegene "Coolness" stets als oberste Prämisse – gewissermaßen das Kinderlied der zehn kleinen Negerlein. Daß das Leben brutal ist, gerade dort, wo jede Grenze eingerissen und überschritten ist, ist klar. Es bleibt allein die Frage, wer es ist, der als nächster sterben wird im gesetzlosen Mafiadschungel, wo selbst ein wie auch immer definierter Ehrbegriff nur mehr gern zitierte Macho-Macke ist.

Dabei werden hier keine amerikanischen Verhältnisse unzulässig übertrieben in Kiels Gosse projiziert, gezeigt wird ein Stück bundesdeutscher Wirklichkeit. Die Verbildlichung dessen, was alltäglich als Randspaltenmeldung in den Zeitungen erwähnt wird. So ist dies eigentlich keine Geschichte, sondern ein Zustand, wie es die Presseinfo auch offensiv formuliert.

Die Botschaft des Films, die der Tagessspiegel schleimig-lobend als Migranten-Plädoyer für ein "Recht auf Kriminalität" faßt, formuliert Ertan selbst: "Wir sind die Kanaken, vor denen ihr Deutschen immer gewarnt habt. Jetzt gibt es uns – ganz eurem Bild und euren Ängsten entsprechend." Obwohl deutsche Polizisten hier auch brutal knüppeln und eine Abschiebung ein gewalttätiger Vorgang ist, wird nicht gejammert in Lars Beckers Film. Konsequent ist es, daß ein Recht auf Kriminalität auch das Recht auf den eigenen Tod einschließt.

Es gab vor zwei Jahren einen filmischen Vorgänger, "Kurz und schmerzlos" hieß das Debüt des jungen Regisseurs Fatih Akin, eine ebenso mitleidlose Geschichte aus dem urbanen Multikulti-Milieu, jedoch eine, die stärker unter die Haut ging: eine Spur weniger hip und sexy und unter Verzicht auf lässige Videoclip-Ästhetik. Ging es dort – bei Akin – um eine entwurzelte städtische Jugendszene im Zustand der Verzweiflung, sind die Kanaken-Protagonisten hier bereits kaputt. Gleichwohl zeugen sie von einer Realität, der sich zu stellen sein wird.

Nun steht hinter dem Film ein umfassenderes Phänomen, das bei der harmlosen Comedy der derzeit so populären Duos "Mundstuhl" und "Erkan und Stefan" beginnt und in der revolutionären Polemik eines Feridun Zaimoglu gipfelt. "Mundstuhl" parodiert in den Figuren "Dragan" und "Alder" (stilecht in Bomberjacken und aufknöpfbaren Jogginghosen) den südländischen Slang deutscher Großstädte ("isch schwör, ich geb dir korrekt"), und bereits das wäre vor wenigen Jahren noch ein undenkbarer Tabubruch gewesen. Daß das Unsagbare somit aus seiner Unberührtheit hervorgeholt wird und gar als Objekt einer Satire dienen darf, bedeutet mitnichten, daß der Emigrantennachwuchs der zweiten Generation mit seinem typischen Macker-Gebaren und dem einschlägigen Soziolekt nun der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Vielmehr wird er aus seiner ausgeklammerten gesellschaftlichen Rolle geholt: Nicht gelacht werden darf ja nur über die, denen keine Gleichwertigkeit zuerkannt wird, denen man kein souveränes Handeln zubilligt, Kinderschänder, Behinderte, Rechtsradikale. Satire geschieht heute menschelnd, sie vernichtet ja nicht, das Lachen ist weder gehässig, noch geschieht es überhaupt von einem überlegenen Standpunkt. Den radebrechenden Komödianten und dem, was sie abbilden, kommt vielmehr ein sympathischer Kultstatus zu. Passendes zeigt sich dort, wo an deutschen Haupt- und Gesamtschulen auch deutsche Jugendliche den gebrochenen Slang derer übernehmen, die auf dem Pausenhof das Sagen haben. Hier schlägt die Parodie in Anbiederung um.

Eine schleichende Geben-Nehmen-Integration ist es dagegen nicht, was Feridun Zaimoglu will. Der Kieler Türke zeichnet maßgeblich verantwortlich für das Drehbuch zu "Kanak Attack", welches die leicht veränderte Kinoversion seines Buches "Abschaum" ist. Erstmals hatte Zaimoglu, Jahrgang 1964, durch sein 1995 erschienenes Buch "Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft" von sich reden gemacht. Hierin ließ Zaimoglu ein "anderes Deutschland" zu Wort kommen – ein "schwer verdauliches Gegenstück zum tolerant-liberalen Müsli-Deutschen". Dort stammelt zum Beispiel Hüdaver, 22jähriger Arbeitsloser, und befindet, "deutsches land is ne salzige puffmutti, da fall ich schon allererst mit der tür ins knusperhaus, wo die uns schokostreusel und alle menge herrlich gaben vor’s maul hängen.(...) Das kann man wirklich haben im deutschen land, wo man die puffmutti olles pfundsfleisch preist und für‘n tarif denn sorgen tut, daß der lütteste pisser gern sein triebprügel da stampfen kann inne höhle vom nuttenland deutsches land", und so geht’s munter weiter bis zum Erbrechen: Texte "normaler" Deutschtürken, in denen Sätze als Ausrufe, fast ausschließlich durch Kommata aneinandergereiht, hervorgeschleudert werden. Das gibt zu denken. "Mültükülti" wird als Phrase und Laune des Bürgertums und der Herrschenden empfunden, als "arschfickiges" Gebaren, "Toleranz-Leier" der Toskana-Fraktion. Multikulti sei unsexy. Dagegen setzt Zaimoglu auf vitale Kulturrevolution und formierte vor zwei Jahren das Projekt mit dem Namen des Films: "Kanak Attack", angetreten, um "einer breiten Öffentlichkeit ohne Anbiederung und Konformismus eine neue Haltung von Kanaken aller Generationen zu vermitteln". So heißt es im Manifest der Bewegung, und weiter, man lehne "alle Spielarten einer ethnisch motivierten Identitätspolitik" ab, ebenso wie das Verhalten lamentierender "Kuschel-Ausländer" und insgesamt die "postmoderne Interkulturalität". Befürwortet wird dagegen "eine Haltung, die sich von dem Modell der Gleichheit absetzt und die sich gegen die Unterwerfung durch eine hegemoniale Kultur richtet." Das sind klare Worte: der Fremde einmal nicht als Opfer, sondern als Krieger im deutschen Land. Martialisch gibt sich Zaimoglu auch in seinem Internet-Auftritt: Unter http:// kanak-attack.de zuckt mittels aufwendiger Grafik aus nebligen Silhouetten der Meister selbst hervor. In Angriffshaltung, mit geballten Fäusten posiert der spirituelle Leader, wie er sich auch nennen läßt, als schmissiges Titelbild.

Natürlich muß die Frage nach der Relevanz von "Kanak Attack" als Bewegung gestellt werden. Einerseits möchte Zaimoglu, der in diesem Herbst mit einem trotz hübschem Titel stilistisch wie inhaltlich unglaublich schlechten Briefroman ("Liebesmale, scharlachrot") debütierte, augenscheinlich gern so etwas sein wie der Stuckrad-Barre für halbwüchsige Emigranten. Andererseits weist der Blick auf die realen "Ertans" über die bloße Geste kokettierender Rebellion hinaus.


 
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