© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Wuchernde Bürokratie von Staatsknechten
Manfred Lahnstein: Die Feuerwehr als Brandstifter. Die unheimliche Macht der Experten in Politik und Wirtschaft
Ronald Gläser

Bei den Neandertalern beginnt Manfred Lahnstein seine erfrischende Analyse der Situation in Deutschland, wo der Begriff "Reformstau" zum Wort des Jahres werden konnte. In einer klaren Sprache erläutert er in "Die Feuerwehr als Brandstifter" die unheimliche Macht der Experten hierzulande. Die angenehme, klare Sprache ohne nutzlose Anglizismen verwendet der Sozialdemokrat schon deswegen, weil er das Fach-Chinesisch von Experten als Instrument der Abschottung einer kleinen Gruppe vom Rest der Menschen identifiziert hat.

Lahnstein schildert auf 268 durchweg lesenswerten Seiten den Spezialisierungsprozeß der Menschen seit den alten Pharaonen als den Ausgangspunkt für das Herausbilden der "Expertenmacht" und schließlich der Machtkartelle. Diese Experten, seien sie Computerspezialisten oder Steuerberater, verfügen qua ihrer Fähigkeit über Macht. Diese Machtposition gelte es wegen der daraus resultierenden Privilegien zu verteidigen.

Im Falle der Handwerker geschieht dies beispielsweise durch die Handwerksordnung, die den Zugang zum Markt reguliere. Der "Meister" als Voraussetzung für die Gründung eines Handwerksbetriebes unterläuft für Lahnstein die vom Grundgesetz in Artikel 12 garantierte freie Berufswahl. Andere Vorschriften verhinderten den Wettbewerb unter Medizinern oder im Taxigewerbe, um die zwei bekanntesten Beispiele aufzuführen.

Immer sind für solche Tatbestände "Zusammenrottungen von Experten" in Form von Innungen, Kammern, Verbänden, Kooperationen etc. verantwortlich. Solchen als "Dinosaurier" titulierten Experten-Sammlungen widmet sich der 63jährige Autor. Diese "Zusammenrottungen" sicherten die Einkünfte der Angehörigen und zementierten die Verhältnisse, so Lahnstein.

Eine ausufernde, ja wuchernde Bürokratie von "Staatsknechten" mit anderen Sonderprivilegien wie Pensionen und Standortzulagen ist ein weiteres Machtkartell. Nicht zuletzt die vielen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die die Parlamente auf allen Ebenen bevölkern, macht er für diese ungeheure Macht verantwortlich. Zu dieser Entwicklung gehört aber auch die abnehmende Attraktivität des Staatsdienstes und das schwindende Ansehen der Staatsdiener, die sich nicht länger als Diener sähen.

Dann kommt Lahnstein zu den Parteien. Als SPD-Mitglied wird er zum Zeugen der Anklage wider den bundesdeutschen Parteienstaat. Er dokumentiert die finanziellen Zuweisungen an die Parteien und die mit ihnen verbündeten Organisationen. Er schildert den Einfluß auf staatliche Einrichtungen wie die öffentlich-rechtlichen Medien.

Schließlich offenbart der nach dem Ende der Kanzlerschaft Schmidts in den Bertelsmann-Vorstand "geflüchtete" Politiker eine Nähe zur FDP und ihren Positionen. Lahnstein geht mit dem Parteienstaat hart ins Gericht und fordert grundlegende Änderungen wie die zeitliche Begrenzung von höchsten Ämtern oder die Abschaffung der Macht der Fraktionen. Seine Kritik entzündet sich auch an der Macht der Parteigliederungen, die bewirkten, daß von "allgemeiner, unmittelbarer Wahl kaum die Rede sein" könne.

Einiges wird von ihm im weiteren Verlauf seiner Kritik relativiert. Natürlich gebe es keine Alternative zu unserer Staatsform, so Lahnstein. Er spitzt die Lippen. Aber er pfeift nicht. Und als Sozialdemokrat kann er sich einen parteipolitisch motivierten, aber inhaltlich überzogenen Seitenhieb auf die CDU wegen der Kohl-Spendenaffäre nicht verkneifen.

Beim Thema "Ökologiker" (wohl in Anlehnung an Allergiker?!) führt er nüchtern die Fehlprognosen der sogenannten Umweltexperten auf, die er als eine der jüngsten "Spezialistengruppen" identifiziert hat: Überbevölkerung (schon vor 200 Jahren von Malthus vorausgesagt), versickernde Ölquellen (bereits für 1910 prognostiziert), atomare Katastrophe, Ozonloch, Schmelzen der Pole oder Waldsterben. Alle diese Umwelt-Horrorszenarien dienten der Privilegiensicherung, die er den entsprechenden Experten unterstellt. Sobald die Presse genug Schlagzeilen und Greenpeace ausreichend Spenden dadurch gemacht habe, gerieten die Themen wieder in Vergessenheit. Auch die rot-grüne Ökosteuer ist für ihn eine "Nullnummer".

Letztlich widmet er sich den Machtkartellen in Wirtschaft und Sozialwesen. Die gesellschaftliche Umverteilung habe solche Ausmaße erreicht, daß fast jeder Bürger auf die eine oder andere Art davon betroffen sei. Er bestreitet, daß diese "Überorganisation ausufernder Transfermassen" durch die "Sozialmafia" noch gerecht sei. Wer arbeitslose Bafög-Empfänger kennt, die gleichzeitig Eigentumswohnungen erwerben, kann dem nur zustimmen. In Hinblick auf Unternehmen ignoriert er überraschenderweise die auch hier auf allen Ebenen anzutreffende Subventions- und Vollkaskomentalität weitgehend.

Ferner geht er auf die janusköpfige Rolle der Medien, das Gesundheitswesen und das Bündnis für Arbeit ein. Überall wittert er Machtkartelle und veraltete Herrschaftsverhältnisse, die es zu überwinden gilt. Dafür liefert er in dem Kapitel "Götterdämmerung" einige diffus wirkende Vorschläge. Junge Leute sollten bald die Kartelle kippen. Dafür fordert er unter anderem mehr Unternehmergeist und stärkeres Engagement des Einzelnen für die Gemeinschaft.

Lahnstein bedient sich nicht nur abstrakter Denkmodelle, sondern er veranschaulicht seine Thesen mit lebhaften Beispielen. Dadurch ist es dem Autor, der unter Helmut Schmidt als Kanzleramts- und Finanzminister tätig war, gelungen, eines der wichtigsten gesellschaftlich-ökonomischen Probleme im Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts darzustellen.

 

Manfred Lahnstein: Die Feuerwehr  als Brandstifter. Die unheimliche Macht der Experten in Politik und Wirtschaft, München, 2000, 268 Seiten, 44,90 Mark


 
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