© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Die BSE-Schreckensbilanz
Rinderseuche: Der Kampf des Menschen gegen die Erreger / Globalisierung des Problems
Volker Kempf

Unsere dichtbevölkerte Welt ist nicht davor gefeit, früher oder später von einem Erreger dahingerafft zu werden. Dies erklärten der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper 1992 in einem Spiegel-Gespräch und Anfang diesen Jahres der Zoologe Desmond Morris in einem JF-Interview. AIDS ist ein Schritt in diese Richtung. Weltweit waren nach Angaben von Unaids im vergangenen Jahr bei deutlich steigender Tendenz 33,5 Millionen Menschen mit dem tödlichen Virus infiziert. Ein weiterer Schritt in diese Richtung markiert die Gruppe der BSE-Erkrankungen. Auslöser ist ein körpereigenes, aber verändertes Eiweiß, das von Rindfleisch auf Menschen übertragen wird und zu der mit 100 Todesopfern noch relativ seltenen menschlichen Variante von BSE, der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, führt. Die Zahl der Infektionen ist unbekannt und liegt nach bisherigen vagen Schätzungen zwischen eintausend und einer Million. Heilbar ist die Krankheit nicht, allerdings gelang es dieses Jahr Forschern am Robert-Koch-Institut, einen Therapieansatz zu entwickeln. Hiernach sollen krankhafte Veränderungen am Gehirn gestoppt und teilweise sogar rückgängig gemacht werden können.

Bislang wurden vor allem Nutztiere von einer Krankheit aus der Gruppe BSE heimgesucht, weshalb auch von "Rinderwahnsinn" gesprochen wird. Vorsorgliche Notschlachtungen gab es massenhaft in Großbritannien, jetzt ist Frankreich an der Reihe. Knapp 15 Millionen Rinder, die vor dem 15. Juli 1996 geboren wurden, sollen geschlachtet werden. Nach Angaben der Zeitung Liberation entsteht damit für den Staat ein Schaden von 18 Milliarden France, das sind umgerechnet rund fünf Milliarden Mark. Diese Maßnahmen sind notwendig geworden, nachdem in Frankreich seit Jahresbeginn 93 BSE-Fälle entdeckt wurden – das sind schon jetzt 60 mehr als im gesamten Vorjahr. Frankreich hat zudem damit begonnen, bei Rindern verstärkt Stichproben zur Feststellung einer möglichen Infizierung durchzuführen. Ob dadurch die Rinderseuche beseitigt wird, wollen die fleischessenden Verbraucher erst noch abwarten; das Mißtrauen bleibt groß, und der Griff geht eher in die Fischregale. Der französische Rindfleischmarkt ist dadurch weitgehend zusammengebrochen. Landwirtschaftsminister Jean Glavany sieht eine Psychose, also einen krankhaften Realitätsentzug sich ausbreiten: "Meine Kinder und ich, wir essen weiter Rindfleisch. Es gibt keinen Grund zur Psychose."

Ähnliche Worte hatte seinerzeit in Großbritannien Landwirtschaftsminister John Gummer gefunden, um das britische Rindfleisch weiterhin schmackhaft zu machen. Daß dabei das Interesse an der Marktpräsenz des nationalen Rindfleisches größer war als an der Sicherheit der eigenen Bevölkerung, kam unterdessen ans Licht (die JF berichtete). Das Vertrauen der Bürger in die Politik wurde dadurch über Großbritannien hinaus erschüttert und muß erst wieder mühsam zurückgewonnen werden.

Im Gegensatz zu Glavany bezweifelt EU-Verbraucherkommissar David Byme, daß der Abzug französischer Rinder vom Markt die Sicherheit der Verbraucher gewährleiste. Der Umweltmediziner Wolfgang Ritter pflichtet dem gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bei. Denn noch immer würde der BSE auslösende Umstand, nämlich die Rückkehr von Schlachtabfällen in den Nahrungskreislauf, beibehalten werden. Dieser Einsicht entsprechend will Präsident Jacques Chirac ein Verbot der Verfütterung von Tiermehl erreichen, Premierminister Lionel Jospin ist allerdings dagegen und spricht von einem "politischen Coup".

Die Politik der EU-Staaten setzt im Kampf gegen BSE auf Notschlachtungen vor Ort, auf Stichproben sowie in einigen Fällen auf Einfuhrverbote. Spanien hat bereits ein Einfuhrverbot auf französisches Rindfleisch verhängt. Rußland und Ungarn machten ebenso rasch die Grenzen für die potentielle Gefahr aus Frankreich dicht. Italien kündigte an, ebenfalls bereit zu sein, notfalls ohne die EU ein Einfuhrverbot zu errichten. Österreich will nur ein Einfuhrverbot für Rinder aus Frankreich erlassen. Aufgrund eines ohnehin gegen null tendierenden Importanteils von Rindfleisch aus Frankreich will der Alpenstaat auf ein Einfuhrverbot allerdings verzichten.

Für Deutschland, das durchaus Importeur französischer Fleischwaren ist, sieht Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) keine Notwendigkeit, französisches Rindfleisch vom deutschen Markt auszuschließen. Die Bundesländer sollten allerdings möglichst rasch die vorgeschriebenen Schnelltests durchführen. Baden-Württemberg kündigte sofort die Durchführung von Tests an, die ab 2001 obligatorisch sein werden. Auch Hamburg und Schleswig-Holstein wollen noch in diesem Jahr zur Tat schreiten. Deutschland muß gemäß EU-Richtlinie 10.000 Tests durchführen, will aber freiwillig weitere 56.000 vornehmen.

Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände verlangt allerdings BSE-Tests für alle Schlachttiere. Die Bundesländer Saarland, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen plädierten am Freitag im Bundesrat für ein Importverbot gegen französisches und britisches Rindfleisch, notfalls auch gegen den Willen der EU.

Die Entscheidung wurde aber vertagt. Denn das Bundesgesundheitministerium sprach sich gegen ein derartiges Vorgehen aus. Dies würde den Schutz der Verbracuher nicht verbessern und nur eine falsche Sicherheit vorspielen. Aus Großbritannien gelange legal ohnehin kein Fleisch direkt nach Deutschland. In Großbritannien hatte es dieses Jahr knapp 1.000 BSE-Fälle gegeben.

Während die eine Gefahr noch nicht gebannt ist, über die richtigen Konsequenzen noch gestritten wird und einige Maßnahmen bereits eingeleitet wurden, kommt aus den USA eine weitere Schreckensmeldung: Auch Wildtiere sollen mit einer BSE-Erkrankung befallen sein. Die 1967 erstmals ausgemachte Hirschkrankheit Chronic Wasting Disease (CWD), die auch Elche befällt, ist dabei, sich auf die US-Bundesstaaten Wyoming, Oregon, South Dakota, Nebraska und Oklahoma auszudehnen. Dies berichtet das US-Wissenschaftsmagazin Scientific America. Ob CWD auch auf den Menschen übertragen werden kann, darüber liegen nach Angaben des Wissenschaftsmagazins jedoch noch keine stichhaltigen Erkenntnisse vor. Doch Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht, auch nicht gegenüber der Natur. Eine weitere Ansteckungsquelle für eine menschliche Form von BSE droht jedenfalls die globalisierte Lebenswelt zu erfassen.


 
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