© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Des Volkes Wille
Warum brauchen wir die bundesweite Volksabstimmung und wie bekommen wir sie?
Thomas Mayer

Die Frage: "Warum brauchen wir die bundesweite Volksabstimmung?" ist in meinen Augen falsch gestellt. Ich frage mich immer, wieso es in einer Demokratie eigentlich keine Volksabstimmungen geben sollte. Demokratie heißt doch nichts anderes, als daß die Herrschaft vom Volke ausgeht. Daß also die Bürgerinnen und Bürger ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Wie soll das ohne Volksabstimmungen gehen?

Wenn alles gut läuft, gibt es im Jahr 2002 im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine gesetzliche Regelung von Volksabstimmungen. Wenn das erreicht wäre, dann wären wir einen großen Schritt weiter. Doch bei realistischer Sicht darf man nicht erwarten, daß es eine Regelung der Volksabstimmung gibt, die auch wirklich funktioniert. Das zeigen die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts.

Seit 1990 wurden in allen Bundesländern von den Landtagen Volksbegehren und Volksentscheid eingeführt – auf Landesebene sowie für die Gemeinden und Städte. Doch tatsächlich hat sich noch nicht so viel getan. Denn die Landtage verlangen immer so hohe Hürden, daß es nur ein Recht auf dem Papier ist.

Das Hürdenarsenal besteht aus unerreichbar hohen Unterschriftshürden für die Einleitung einer Volksabstimmung, beträchtlichen Themenausschlüssen und sogenannte Zustimmungsklauseln, die Volksabstimmungen dann im nachhinein für ungültig erklären. Obwohl es in allen Bundesländern landesweite Volksabstimmungen gibt, gab es bislang nur in Bayern gültige Volksentscheide (1991 zur Müllpolitik, 1995 zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids und 1998 zur Abschaffung des Senats).

Außerdem waren Dank einer Zusammenlegung mit der Bundestagswahl 1998 und der daraus folgenden hohen Abstimmungsbeteiligung auch die Volksentscheide in Hamburg (Einführung des Bezirksbürgerentscheids) und in Schleswig-Holstein (gegen die Rechtschreibreform) gültig. Alle anderen Anläufe scheiterten bislang. Auf der kommunalen Ebene ergibt sich ein ähnliches Bild.

Um eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag zu erlangen, muß es einen Kompromiß zwischen Befürwortern und Gegnern der direkten Demokratie geben. Dieser Kompromiß wird vermutlich wie in den Bundesländern so aussehen: Wir führen zwar das Recht auf Volksabstimmung ein, aber so, daß es dann zu kaum einer kommen kann. Doch das wäre immerhin etwas! Denn es ist wirklich besser, wenn man ein Schlauchboot hat, das man vielleicht flicken und aufpumpen kann, als wenn man gar keines hat.

Eine funktionierende Volksabstimmung wird es nur geben, wenn die Bürger diese auch wirklich wollen und sich dafür einsetzen. Direkte Demokratie wird nicht geschenkt. Denn die freiwillige Rückgabe von Macht fällt den Mächtigen immer schwer. Mit den Volksentscheiden für Mehr Demokratie in Bayern 1995 und in Hamburg 1998 wurden praktikable Regelungen für kommunale Bürgerentscheide eingeführt. In Bayerns Gemeinden und Städten gab es seither etwa 500 Bürgerentscheide!

Letztlich muß sich also jeder selbst entscheiden, ob er mehr Bürgerbeteiligung per Volkabstimmung wirklich will oder nicht. Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage angelangt.

Um hier ein paar Entscheidungshilfen anzubieten, abschließend ein paar Hinweise, wie direkte Demokratie die politische Kultur verändert und die Lebensqualität erhöht:

- Die Bürgerinnen und Bürger erleben sich ernster genommen, wenn sie in Sachfragen mitentscheiden können.

- Die direkte Demokratie ist ein Ausweg aus der Ohnmacht ("Die da oben machen doch, was sie wollen"). Dieses Ohnmachtsempfinden führt allzuoft zu privater Resignation, Zynismus oder politischer Aggression. Wer eine Chance hat, sein Anliegen in einem fairen Verfahren zur Entscheidung zu bringen, und dann verliert, der kann das Ergebnis eher akzeptieren, als wenn er sich von Anfang an einer geschlossen und ablehnenden Mauer der Parlamentsmehrheit gegenübergestellt sieht. Das ist die befriedigende Wirkung der direkten Demokratie.

- Das politisches Interesse und die Verantwortungsbereitschaft der Menschen wachsen. Da die Menschen selbst entscheiden können, interessieren sie sich auch mehr für strittige Sachfragen. Vor jedem Volksentscheid finden ausführliche öffentliche Diskussionen statt – eine Chance für jeden, etwas dazuzulernen. Mit jedem Volksentscheid verbindet man sich ein Stück mehr mit dem Gemeinwesen.

- Politiker können Probleme nicht mehr so aussitzen wie bisher. Die Rolle der Politiker ändert sich mit der direkten Demokratie. Diese müssen sich nun mehr darum kümmern, ihre Vorschläge zu vermitteln und die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen. Damit wird die Distanz zwischen Regierenden und Regierten kleiner.

- Neue Ideen haben größere Chancen, auf die öffentliche Tagesordnung zu kommen. Es gibt mehr Wettbewerb zwischen Vorschlägen zur Gestaltung unseres Gemeinwesens. Damit wächst die Lern- und Erneuerungsfähigkeit der Gesellschaft, und wir haben größere Chancen, die Aufgaben der Zukunft zu bewältigen.

 

Thomas Mayer ist Geschäftsführer von Mehr Demokratie e.V. in Kempten/Allgäu.


 
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