© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
Deutschland im Herbst
von Angelika Willig

Rund 200.000 Menschen versammeln sich am Donnerstag, den 9. November, vor dem Brandenburger Tor, um ihre Ablehnung rechter Gewalt zu demonstrieren – und ausgerechnet die Rechten verweigern die Teilnahme. Das kann doch wohl nur heißen, daß man hier klammheimlich mit den Tätern sympathisiert.

Das kennen wir doch irgendwo her. Diese Pflicht, sich mit den Regierenden zu solidarisieren, nur um nicht in den Verdacht zu geraten, daß man Kriminelle unterstützt. Dieses Klima der Bespitzelung und Gesinnungsschnüffelei, gerichtet gegen Unzufriedene, Kritische und Nachdenkliche, die mit den Kriminellen nichts zu tun haben, aber aus dem Verdacht nicht herauskommen. Bevor sie sich nicht mit der Masse der Zufriedenen und Bedenkenlosen in eine Reihe gestellt und ihren Vorbehalten öffentlich abgeschworen haben. Wie heute in der Union noch einige auffallen durch den Versuch, der Toleranz und Menschlichkeit eine eigene Nuance zu geben, so haben sich auch damals in der SPD einige gefunden, die sagten, daß schlimmer als ein paar Banditen ein Volk von Untertanen und Spitzeln sei.

Von einer "bleiernen Zeit" sprach man damals. Ziemlich bleiern klangen auch die Worte, mit denen Paul Spiegel die letzten Ungehorsamen abmahnte, auf daß in Zukunft sich nichts mehr rege als jener große und einhellige Beifall, den der Redner für sein "Vertrauen" zu den Deutschen erhielt. Noch haben wir Herbst. Wenn sich kein Blatt mehr regt, ist der Winter angebrochen.


 
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