© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Augenweide für Fetischisten
Ausstellung: Helmut Newton präsentiert sein fotografisches Werk in der Neuen Nationalgalerie in Berlin
Silke Lührmann

Das Verhältnis des (weiblichen) Aktmodells zum (männlichen) Maler oder Fotografen gleicht dem zwischen Patientin und Gynäkologen in schlechten Arztwitzen. Weder Vergewaltigung noch Prostitution, ist es doch eine – zumindest momentane – Enteignung des Frauenkörpers. Die Kunst dient der Verewigung genau dieses Moments. Sie entkörperlicht, um sofort etwas ganz anderes zu verkörpern: das Prinzip Weiblichkeit, ein bestimmtes ästhetisches Ideal, eine Stellungnahme zum Thema Pornographie. Im Englischen bedeutet exposure sowohl "Belichtung" und dann allgemeiner "fotografische Aufnahme" als auch "Ausgeliefertsein".

Vordergründig geht es in Helmut Newtons Fotografie gerade nicht um Kontrolle oder um Hierarchien. Es geht um elegante Provokationen, eiskalt inszeniert von zwei gleichberechtigten Komplizen. Die eine stellt sich den Blicken, der andere nicht. Zu diesem anderen wird der (männliche oder weibliche) Ausstellungsbesucher selbst, indem er sich hinter der Kamera verortet. Mit dessen Unsichtbarkeit ist es in der unglücklich konstruierten Neuen Nationalgalerie zwar nie sehr weit her – zu stark ist der Spiegelungseffekt selbst an wolkigen Tagen, allzu stark auch das Bedürfnis von Berlinern wie Touristen, bei den richtigen Anlässen in der tiefschwarzen Uniform der Intelligenzija gesehen zu werden, um ihr kulturelles Kapital zu mehren.

Wer immer schon wissen wollte, wie es im Kopf eines Fetischisten aussieht, ist mit diesem Rundgang zum 80. Geburtstag des Künstlers glänzend beraten. Newton betont immer wieder, ohne Montagen und Manipulationen "das, was ich sah" zu fotografieren: Powerfrauen in Polizeiuniform oder gestrengem Kostüm, die im nächsten Bild plötzlich an öffentlichen, wenngleich menschenleeren Orten entblößt dastehen und dadurch – je nach Sicht des Betrachters – entweder jeder Autorität beraubt oder aber um so dominanter werden. (Newtons Lieblingsmodell heißt nun einmal Margaret Thatcher und nicht Kate Moss.) Brüste wie Raketen, nackte Schönheiten in Küche und Waschkeller, lebensgroße Pin-Ups als Fahndungsfotos, teure Supermodels in billigen Hotelzimmern, verschnürte Frauenleichen am Strand, Schattenspiele von scharfzackiger Dynamik. Röntgenaufnahmen schmuckbehangener Körperteile: Anatomie der Dekadenz.

Neben Schaufensterpuppen beim Geschlechtsakt und "Unfallopfern" mit erotischen Gipsen und Stützverbänden gibt es natürlich die unvermeidlichen Stiletto-Absätze, Lederwaren, Pelzmäntel und Phallussymbole in Form von schicken Autos (wage noch einer dem New Beetle Sex-Appeal abzusprechen ...), Zigarren und Schußwaffen zu bestaunen. Fünfzig Jahre später, unmittelbar vor und nach dem Mauerfall, fand Newton, der im Berlin der Zwanziger und Dreißiger aufwuchs, bis er 1938 nach Singapur floh und von dort 1940 nach Australien ging, den konspirativen Narzißmus der Zwischenkriegszeit wieder: Rendezvous zum Fototermin auf der Glienicker Brücke, vor dem Reichstag, am Brandenburger Tor.

Dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit treten die Ausstellungsmacher mit dem Hinweis auf Newtons Ehefrau June als Kuratorin und einem enthusiastischen Einführungstext entgegen, der allerdings zu denken gibt: Wozu brauchen Frauen, die "in der Lage (erscheinen), über die eigene Sexualität zu bestimmen, die nicht mehr an die Mutterschaft gebunden ist", einen "Regisseur", der sie "schuf"? War es nicht sogar anmaßend, "bereits in den 1960er Jahren das heutige Bild der Frau" vorwegzunehmen? Vor allem: Wessen Fantasie ist dieses Bild – "frei lebend und begehrend, mit einem Kraft, Schönheit und Vitalität ausstrahlenden Körper"? Einer Besucherin, die sich von dieser Rhetorik "verarscht" fühlte, erwiderte eine andere Frau im Gästebuch der Ausstellung: "Ach, meine Dame, Sie haben ein Problem mit Ihrem Selbstbewußtsein!" Schließlich sind es nicht Playboy oder Penthouse, die ihn zum bestbezahlten Fotografen der Welt gemacht haben, sondern Zeitschriften wie Vanity Fair, Stern,Vogue und Marie-Claire.

Daß Helmut Newton auch anders (und anderes) kann, beweisen seine großartigen Porträts berühmter und berüchtigter Persönlichkeiten, Mächtiger und Machthungriger: Anthony Hopkins, der Aga Khan, Anselm Kiefer, Jean-Marie Le Pen. Deren Ausstrahlung ist nicht namenlos an Begriffe gebunden, sondern zeigt den Menschen jenseits der Kamera. Ihr Gesicht ein zerknittertes Palimpsest, in dessen toten Augen nichts von der Schuld und Unschuld des vergangenen Jahrhunderts eingeschrieben steht, wirkt Leni Riefenstahl zwischen Elisabeth Shue und Anita Ekberg weder greisenhaft noch häßlich. Der einzige, der sich beim Fotografiertwerden sichtlich unwohl fühlt, ist Gerhard Schröder.

 

Die Ausstellung "Helmut Newton: Work" ist bis zum 7. Januar 2001 in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, zu sehen. Täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22, Sa./So. ab 11 Uhr. Eintritt 12 Mark, ermäßigt 6 Mark.


 
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