© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Der Frankfurter Beitrag zur Weltrevolution
Terrorismus: Hans-Joachim Klein, die Revolutionären Zellen, der Wiener Opec-Anschlag und der Mord an dem FDP-Politiker Heinz-Herbert Karry
Werner Olles

Am 21. Dezember 1975 überfiel ein sechsköpfiges Terrorkommando, das sich "Arm der arabischen Revolution" nannte, die in Wien stattfindende Konferenz der Opec-Länder. Deren dreizehn Mitgliedsländer verhandelten gerade in dem am Karl-Lueger-Platz gelegenen Verwaltungsgebäude über die zukünftige Preisgestaltung ihrer Erdölexportlieferungen. Die schwerbewaffneten Terroristen, darunter der Frankfurter Hans-Joachim Klein und die durch die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz freigepreßte Gabriele Kröcher-Tiedemann, drangen in den Konferenzsaal ein und nahmen elf arabische Minister als Geiseln.

Mit ihrer Tat protestierten sie gegen die angeblich zu nachgiebige Politik der Opec-Staaten, denen sie vorwarfen, gegenüber Israel und dem Zionismus zu große Milde walten zu lassen. Bei dem Überfall wurden drei Personen getötet, ein österreichischer Polizeibeamter, ein libyscher Opec-Delegierter und ein irakischer Sicherheitsbeamter. Der bei dem Schußwechsel durch einen Bauchschuß schwerverletzte Hans-Joachim Klein wurde zunächst in einer Wiener Klinik behandelt. Nachdem der ORF am Abend einen Aufruf der von dem Venezuelaner Iljitsch Ramirez Sanchez, genannt "Carlos", angeführten Terroristen gesendet hatte und diese daraufhin ihre österreichischen Geiseln freiließen, sicherte ihnen die Bundesregierung unter Kanzler Kreisky für den Abzug mit 33 Geiseln freies Geleit zu. Vom Flughafen Schwechat aus startete die Maschine der Austrian Airlines am nächsten Morgen in Richtung Nordafrika. Gegen Mittag landete die DC-9 in Algier, wo die Minister der nichtarabischen Mitgliedsländer zusammen mit ihren Delegierten freigelassen wurden. Klein, ohne den die Geiselnehmer Österreich nicht verlassen wollten, wurde eilends in ein Krankenhaus gebracht. Nachdem die Maschine in Tunis keine Landeerlaubnis erhielt, kehrte sie wieder nach Algier zurück. Dort ging das Drama, bei dem es den Terroristen offensichtlich allein darauf angekommen war, ein israelfeindliches Kommuniqué mit einer Kritik an verhandlungsbereiten arabischen Staaten zu verbreiten, zu Ende. Die letzten Geiseln wurden freigelassen, die Terroristen stellten sich den algerischen Behörden und erhielten politisches Asyl.

Seit Ende der sechziger Jahre gehörte der 1948 geborene Hans-Joachim Klein zu den militanten Aktivisten der Frankfurter Demonstrationsszene. Im Februar 1972 trat er in die "Rote Hilfe" (RH) ein, eine linksextremistische Organisation, die der RAF besonders nahestand. Im September 1974 verließ Klein frustriert diese Gruppe, die sich nach seiner Ansicht als unfähig erwiesen hatte, den revolutionären Kampf in den Metropolen politisch zu organisieren und zum "karitativen Sozialverein" geworden war. Er wechselte in die Sponti-Gruppe "Revolutionärer Kampf" (RK), die sich 1970 aus den antiautoritären Restbeständen des SDS gebildet hatte. Hier traf er auf zahlreiche Kampfgenossen aus den 68er-"Revolutionswirren" wie Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Thomas Schmid, Matthias Beltz, Burkhard Bluem, Reimut Reiche und Frank Wolff.

Daß sich der Automechaniker Klein im Dunstkreis der intellektuellen Theoretiker des RK besonders wohl gefühlt hat, ist kaum anzunehmen. Zwar durfte er sich bei Schlägereien, die Joseph Fischers "Putztruppe" mit der Polizei austrug, austoben und den Philosophen Jean-Paul Sartre vom Stuttgarter Flughafen zum Stammheimer Hochsicherheitstrakt chauffieren, als dieser dort Andreas Baader besuchte, anderen "Prominenten" diente er als Leibwächter, aber es dürstete ihn nach echten revolutionären Taten.

Dafür boten sich in Frankfurt am Main die "Revolutionären Zellen" (RZ) an, denen er sich einige Monate vor dem spektakulären Terrorakt in Wien anschloß. Dieses Frankfurter Gewächs bildete sich Anfang der siebziger Jahre im Schatten des von dem letzten SDS-Bundesvorsitzenden Karl-Dietrich Wolff gegründeten linksrevolutionären Verlages "Roter Stern", dessen Geschäftsführer 1972 der ehemalige AStA-Sprecher Johannes Weinrich war und zu dessen Mitarbeitern auch Wilfried Böse ("Boni") gehörte. Zunächst als sogenannte "Feierabend-Terroristen" aktiv, sprengten RZ-Mitglieder Strommasten, Eisenbahnanlagen und andere Infrastruktureinrichtungen. Aber Weinrich und Böse, die beide (wie der Autor dieser Zeilen) aus der von K.-D. Wolff gegründeten Sponti-Gruppe "Rote Panther" kamen, einer Gruppe, die sich aus den "Black Panther-Solidaritätskomitees" entwickelte und als Nachfolgeorganisation des SDS anzusehen war, hatten durchaus unbescheidenere Ambitionen. Und die "Roten Panther" konnte man ruhigen Gewissens als einen Durchlauferhitzer zum offenen Terrorismus bezeichnen. Tatsächlich bekam man schon bald Kontakt zur terroristischen "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) und zum Top-Terroristen "Carlos", der für die PFLP tätig war. 1974 schlug ein Bazooka-Anschlag auf eine El Al-Maschine auf dem Pariser Flughafen Orly nur deswegen fehl, weil Weinrich versehentlich auf ein unbesetztes jugoslawisches Flugzeug schoß. Wochen später stürmte die Polizei ein Wohnhaus im feinen Frankfurter Holzhausen-Viertel, wo der Revolutionär Weinrich, wenn er nicht gerade zum Skifahren in Davos weilte, recht großbürgerlich residierte. Ein halbes Jahr später tauchte der wegen eines simulierten Nierenleidens haftverschonte Terrorist unter.

Rascher Kontakt zum Top-Terroristen "Carlos"

Anfang 1976 trafen sich die versprengten Frankfurter Mitglieder der RZ im Südjemen wieder, wo sie unter der Leitung der PFLP eine Ausbildung im Guerilla-Kampf absolvierten. Auch Klein erholte sich hier von den Folgen seines Bauchschusses. Im PFLP-Camp bereitete man derweil ein weiteres Terror-Unternehmen vor, das am 27. Juni 1976 mit der Entführung eines Airbus der Air France mit 248 Passagieren und zwölf Besatzungsmitgliedern an Bord auf dem Flug von Tel Aviv nach Paris brutale Wirklichkeit wurde.

Kurz nach zwölf Uhr mittags brachten vier Terroristen, die sich als "Kommando Che Guevara" der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" bezeichneten, auf der Höhe der griechischen Insel Korfu das Flugzeug in ihre Gewalt und entführten es nach Zwischenlandungen in Athen und Bengasi nach Entebbe in Uganda. Ihr Anführer, der ehemalige Frankfurter Soziologiestudent Wilfried Böse, forderte die Freilassung von 53 palästinensischen "Freiheitskämpfern" und sechs deutschen "Kriegsgefangenen" aus der RAF und der "Bewegung 2. Juni". Namentlich handelte es sich hierbei um Ingrid Schubert, Werner Hoppe, Ralf Reinders, Inge Viett, Jan Carl Raspe und Fritz Teufel. In Entebbe stießen fünf weitere Palästinenser zu den Entführern. Nachdem das ugandische Militär das Gelände weiträumig abriegelte, nahmen Böse und seine Freundin, die 28jährige Hannoveraner Pädagogikstudentin Brigitte Kuhlmann, eine Selektion zwischen jüdischen und nichtjüdischen Geiseln vor. Während alle übrigen freigelassen wurden, zwang man die 70 israelischen und 34 anderen jüdischen Passagiere mit Waffengewalt, an Bord zu bleiben. Die Entführer drohten das Flughafengebäude zu sprengen und die Geiseln umzubringen, wenn man der Forderung nach Freilassung ihrer "Kampfgenossen" nicht unverzüglich nachkäme. Als Ultimatum wurde zwölf Uhr am 4. Juli angegeben.

Am 3. Juli gegen drei Uhr nachts landeten zwei Maschinen vom Typ Hercules auf dem alten Flughafen von Entebbe. In einer Kommandoaktion, an der ca. 150 israelische Fallschirmjäger beteiligt waren, wurden elf Düsenjäger der ugandischen Luftwaffe zerstört und in einem Feuergefecht 20 ugandische Soldaten und sieben Geiselnehmer, darunter auch Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, erschossen. Bei dem Schußwechsel kam auch der israelische Oberstleutnant Jonathan Netanjahu, der ältere Bruder des späteren Ministerpräsident seines Landes, ums Leben. Die getöteten Terroristen und ugandischen Soldaten wurden später in Anwesenheit von Präsident Amin in Kampala mit allen militärischen Ehren beigesetzt.

In seinem Buch 1979 erschienenen Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit" hat Klein erklärt, daß die Aktion in Entebbe, als deutsche Linke jüdische von nichtjüdischen Geiseln selektierten, ein erster Anstoß für seinen Rückzug vom bewaffneten Kampf war. Tatsächlich standen die RZ zu diesem Zeitpunkt dank Weinrich, der inzwischen zum Adlatus von "Carlos" avanciert war, unter völliger Kontrolle der PFLP, die – im Gegensatz zu den deutschen Terror-Gruppen – bestens versorgt war mit Menschen, Material und Geld und zudem im Nahen und Mittleren Osten einen realen Machtfaktor darstellte, dessen Bedeutung in Europa erheblich unterschätzt wurde. So ist bis heute auch ungeklärt, welche – zumindest logistische – Rolle die Frankfurter Terroristen bei dem Anschlag des "Schwarzen September" am 5. September 1972 auf die israelische Olympia-Mannschaft spielten.

Anfang 1977 tauchte Klein unter und versteckte sich zunächst in einem Dorf im Aosta-Tal. Hier tauchte alsbald auch Johannes Weinrich mit der Absicht auf, den potentiellen Aussteiger zu liquidieren. Im April 1977 schickte Klein daraufhin zum Beweis seiner endgültigen Abkehr vom Terrorismus dem Spiegel seinen Revolver und eine Abschußliste der RZ, auf der an oberster Stelle die Namen von Heinz Galinski, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden in Deutschland, und Ignaz Lipinski, einem anderen hohen jüdischen Repräsentanten, standen. Nach diesen Aussagen galt er nun innerhalb der RZ als Verräter, der zu liquidieren war. Dies geht auch aus Aussagen des ungarischen Geheimdienstes hervor, der Weinrich und "Carlos" in Budapest abhörte, wobei Weinrich klar zu erkennen gab, daß die RZ Klein suchen sollte, um ihn vor ein "Revolutionsgericht" zu stellen und, wenn nötig, zu erschießen.

Auf der Flucht vor der Polizei, die ihn wegen der Beteiligung an dem Wiener Opec-Attentat und Mordverdachts suchte, und seinen früheren "Genossen", die ihn seines "Verrats" wegen töten wollten, erhielt Klein tatkräftige Hilfe von den "Jemanden", alten Frankfurter Freunden, die ihm schließlich seinen Unterschlupf in Frankreich und ein bescheidenes Leben ermöglichten. Daniel Cohn-Bendit bekannte sich von Anfang an dazu, inzwischen nannte Klein auch den Kabarettisten Matthias Beltz als einen seiner Unterstützer.

Der grüne Europa-Abgeordnete Cohn-Bendit handelte sich für seine Offenheit von dem hessischen FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn eine Anzeige wegen Strafvereitelung ein. Allerdings wurde über den Antrag der Frankfurter Staatsanwaltschaft zur Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität noch nicht abschließend entschieden.

Hohe jüdische Repräsentanten standen auf der Todesliste

In ihrem hervorragend recherchierten Buch "Carlos-Komplice Weinrich. Die internationale Karriere eines deutschen Top-Terroristen" (Frankfurt, 1995) weisen die Autoren Klaus-Dieter Matschke und Fritz Schmaldienst auf sieben weitere Personen hin, die in den siebziger Jahren zur linken Szene der Main-Metropole gerechnet wurden, und die nach Aufzeichnungen des ungarischen Geheimdienstes bei Gesprächen zwischen "Steve" – das war einer der "Kampfnamen" Weinrichs – und Carlos von den RZ zum Kreis der "Jemande" gezählt wurden. Dazu gehörten laut Stasi-Aufzeichnungen: der Grünen-Politiker Tom Koenigs; der ehemalige Vorsitzende des Frankfurter SDS Burkhard Bluem; der in Frankfurt niedergelassene Mediziner Mathis Bromberger; der ehemalige Mitarbeiter der Frankfurter Karl Marx-Buchhandlung (in der auch Joseph Fischer einst arbeitete) Heinz Peter W. ("Heipe"); Ralf Schaeffler, der lange Zeit zusammen mit Tom Koenigs in einer WG lebte; der Frankfurter Sponti Rainer Lindner ("Obelix") und der Berliner Wilfried Melchior J.v.G.

Matschke, ein ehemaliger Nachrichtendienstler und Kriminaloberrat a.D. und der HR-Redakteur Schmaldienst, denen bisher unveröffentlichte, umfassende Unterlagen der Stasi und anderer östlicher Geheimdienste zur Verfügung standen, dokumentierten auch, daß "Engee" – so lautete Kleins "Kampfname" bei den RZ – nach Weinrichs Vermutungen Kontakte zum israelischen Geheimdienst Mossad geknüpft hatte. Dafür spräche unter anderem auch, daß Kleins Mutter Jüdin war und er selbst seine Zugehörigkeit zum bewaffneten Kampf, der sich vor allem gegen Israel und die Juden richtete, psychisch nur sehr schwer verkraften konnte. Zwar gelang es der Abteilung Terrorismus beim BKA, seinen langen Marsch in eine neue Identität, den er mit Hilfe der Jemande – und des Mossad? – angetreten hatte, anhand von Daten und Ortsangaben in seinen Aufzeichnungen sowie anhand von Wetterberichten etc. mit riesigem Aufwand und großer Mühe nachvollziehen, aber ganz sicher, ob er sich nun gerade in Belgien, in einer Berghütte in Südtirol, in Italien oder in Stockholm aufhielt, war man sich keineswegs immer. Weinrich befürchtete gar eine Zeitlang, daß das Netzwerk der "Jemande" ihm in den USA zu einer neuen Legalität verhelfen wollte. Dies soll Klein jedoch abgelehnt und sich statt dessen für Frankreich entschieden haben.

Am 8. September 1998 wurde Klein nach längerer Observation durch Zielfahnder des BKA in Frankreich gefaßt, nachdem er schon zehn Jahre zuvor durch Vermittlung Cohn-Bendits in Paris mehrere Treffen mit Agenten des Bundesverfassungsschutzes hatte, sich jedoch nicht dazu durchringen konnte, sich zu stellen.

Seit dem 17. Oktober dieses Jahres muß sich Hans-Joachim Klein nun vor dem Frankfurter Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm neben der Geiselnahme von Wien auch den Mord an einem irakischen Sicherheitsbeamten vor, den der Angeklagte jedoch bestreitet. Klein behauptet, daß die 1995 verstorbene Gabriele Kröcher-Tiedemann den Mann erschossen habe, während sein damaliger Anführer "Carlos", der in Frankreich zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, ihn mit der Tat belastet. "Carlos" wird in Frankfurt als Zeuge aussagen, genau wie der in diesem Sommer festgenommene Rudolf Schindler, ein anderes führendes Frankfurter RZ-Mitglied, das von Klein beschuldigt wird, ihn zu dem Opec-Überfall angestiftet zu haben.

Wie immer auch der Prozeß gegen Hans-Joachim Klein ausgehen wird, interessant wird es auf jeden Fall noch einmal, wenn der feige Mord an dem damaligen hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry zur Sprache kommt. Im Morgengrauen des 11. Mai 1981 wurde Karry in seinem Wohnhaus im Frankfurter Stadtteil Seckbach im Schlaf erschossen. Die auf ihn abgegebenen Schüsse stammten aus einer Sportpistole, die 1970 zusammen mit 17 anderen Waffen aus der Waffenkammer einer amerikanischen Kaserne in Butzbach bei Gießen gestohlen wurde. Die Hochgeschwindigkeitsmunition hat eine außergewöhnlich hohe Durchschlagkraft und wird gewöhnlich nur im Krieg oder bei der Großwildjagd eingesetzt. Der 61jährige Karry verblutete nach ganz kurzer Zeit durch die vier Projektile, die seinen Unterleib förmlich zerrissen.

Karry war der erste Politiker, der in der Bundesrepublik einem politischen Mord zum Opfer fiel. Ein paar Wochen später bekannten sich die RZ zu dem Anschlag, fügten aber hinzu, daß sie dem "Türaufmacher des Kapitals" eigentlich "nur" in die Beine schießen wollten, das ganze sei "ein Unfall" gewesen. Diese offenbar taktische Erklärung muß jedoch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Empörung über den Mord an dem wegen seiner Jovialität und Volksnähe beliebten Politiker bis in die extreme Linke reichte. So schrieb zum Beispiel der Arbeiterkampf des Kommunistischen Bundes, man hätte lieber mit Karry weiter diskutiert und zusammen einen "Appelwoi" getrunken.

Seit 1981 verstummten auch die Gerüchte nicht, daß Karry sterben mußte, weil er Jude war. Die RZ-Todesliste mit hohen jüdischen Repräsentanten, an die die Terroristen aber wegen des lückenlosen Personenschutzes nicht herankamen, war allgemein bekannt. Es ist also durchaus denkbar, daß die inzwischen mit 3.000 Dollar monatlich von der PFLP alimentierten RZ ihren Förderern zum Dank einen "kleinen Gefallen" erweisen wollten.

Die Tatwaffe wurde in Fischers Auto gefunden

Und noch eines muß endlich aufgeklärt werden. 1973 lag die Tatwaffe, der Karry zum Opfer fiel, in einem Wagen, der damals auf einen bekannten Frankfurter Straßenkämpfer namens Joseph Fischer zugelassen war. Der hat dazu ausgesagt, daß der Autoschlosser Klein zu jener Zeit das Auto gefahren habe, weil er einen neuen Motor einbauen sollte. Weder zu der Waffe noch zu dem Karry-Mord konnte der spätere Bundestagsabgeordnete und heutige Außenminister etwas sagen. Neue Erkenntnisse brachte auch eine Telefonüberwachung Fischers Anfang 1983 nicht.

Vielleicht kann Hans-Joachim Klein, der inzwischen Libyens Staatschef Ghaddafi und dessen Wiener Botschaft als Drahtzieher und Organisator des Opec-Attentats bezichtigt, auch im Mordfall Karry, den Bundesanwalt Kurt Rebmann 1986 ergebnislos zu den Akten legen mußte, zur Aufklärung beitragen. Einen Grund, jene "Kampfgenossen" zu schonen, die ihn töten wollten, wie Johannes Weinrich, der im Januar wegen der Bombenanschläge auf den Müchner Sender Radio Free Europe und das französische Kulturzentrum "Maison de France" in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hat er gewiß nicht.

Aber auch jene westdeutschen Linken, die ihren Frieden mit dem Kapitalismus und dem System schon in den achtziger Jahren geschlossen haben, heute nur noch heftig mit dem Moralmäntelchen wedeln, sich um die Kosmetik des Überbaus sorgen und im übrigen nach Art der sizilianischen Mafia auf die "Omerta" vertrauen, dürften sich der "Solidarität" Kleins keineswegs sicher sein. Möglicherweise wird "das arme Schwein, das von der Geschichte weggespült worden ist" (Daniel Cohn-Bendit), noch für manche unliebsame Überraschung sorgen.

 

Hans-Joachim Klein mit Jean-Paul Sartre (l.) und Klaus Croissant (auf dem Rücksitz): Der mutmaßliche Terrorist Klein fährt am 12. April 1974 den französischen Philosophen und den Baader-Meinhof-Anwalt zu einem Besuch des inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader in das Stammheimer Untersuchungsgefängnis. Seit 1976 mit internationalem Haftbefehl gesucht und 1998 in Frankreich festgenommen, muß sich Klein seit Oktober dieses Jahres vor dem Frankfurter Landgericht wegen Mord und Geiselnahme verantworten.

 

Werner Olles , Jahrgang 1942, war 1968/69 Mitglied im Frankfurter SDS, danach engagierte er sich in Splittergruppen der "Neuen Linken". Von 1973 bis 1977 gehörte er den Jungsozialisten an.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen