© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Eine zweischneidige Spitzelaffäre
Österreich: Das Buch eines Ex-FPÖ-Polizeigewerkschafters bringt die Freiheitlichen erstmals in Bedrängnis
Carl Gustaf Ströhm

K aum waren die Sanktionen der EU-14 ausgestanden, wird die österreichische politische Szene aufs Neue heftig gebeutelt. Nach nicht einmal einjähriger Amtszeit trat der Bundesminister für Infrastruktur und Verkehr, Michael Schmid, zurück. Der bisherige Landeschef der FPÖ Steiermark verabschiedete sich ganz aus der Politik, um wieder als Architekt zu arbeiten.

Schmid, der als treuer Gefolgsmann Jörg Haiders galt, ist der dritte FPÖ-Minister, der geht. Vor ihm gab es einen FPÖ-Justizminister, der nur 25 Tage amtierte – und im Oktober wurde die FPÖ-Ministerin für Soziales, Elisabeth Sickl, durch Herbert Haupt ausgetauscht. Nach der schweren Wahlniederlage der FPÖ in der Steiermark mußte die als Quereinsteigerin für ein Amt in Graz vorgesehene Ex-TV-Moderatorin Theresia Zierler durch den "rückwärtigen Ausgang" nach Wien zurückkehren.

Aber damit sind die Schwierigkeiten für die FPÖ noch nicht zu Ende. Ein "Enthüllungsbuch" des ehemaligen Polizeibeamten Josef Kleindienst setzt jetzt sogar die Staatsanwaltschaft gegen führende FPÖ-Politiker in Bewegung. Kleindienst, seinerzeit Mitbegründer der FPÖ-nahen Polizeigewerkschaft AUF, hatte behauptet, FPÖ-Politiker hätten widerrechtlich den Polizeicomputer über gewisse politische Gegner abfragen lassen, wobei FPÖ-nahe Polizeibeamte behilflich waren. In dieser Sache fand bei einem Leibwächter Haiders eine Hausdurchsuchung statt, und schon heißt es, gegen den Wiener FPÖ-Chef Hilmar Kabas (einen FPÖ-"Rechten") könne demnächst – wenn seine Abgeordneten-Immunität aufgehoben werden sollte – Untersuchungshaft verhängt werden: wegen Verdunklungs- und Verabredungsgefahr. Landeshauptmann Jörg Haider attackierte inzwischen den ÖVP-Innenminister Ernst Strasser, weil dieser die Untersuchung in der "Spitzelaffäre" um den Polizeicomputer angeblich einseitig zu- ungunsten der FPÖ und zugunsten der Sozialdemokraten führe, die personell im Innenministerium immer noch Schlüsselposten kontrollieren. Der Innenminister – ein Linksliberaler, der auch für Schwarz-Rot oder -Grün offen wäre – wiederum verwahrt sich gegen solche Beschuldigungen.

Kenner der Wiener politischen Szene wundern sich über die hochgeschaukelte allgemeine Empörung. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß nicht nur FPÖ-Politiker sich (angeblich) des Polizeicomputers und früher der diesbezüglichen Karteien bedient haben, um Informationen über ihnen unliebsame Personen zu erhalten. Nachdem die Gegenseite auf FPÖ-Politiker in dieser Sache losgeht, hat nun Haider seinerseits Strafanzeigen gegen sozialdemokratische, "rote" Beamte und Funktionäre erstattet – eine beiderseitige Schlammschlacht scheint bevorzustehen. Es ist trotz des aufgefahrenen schweren Geschützes nicht ausgeschlossen, daß die "Spitzel-Affäre" am Ende ausgeht wie das Hornberger Schießen, weil – wie es im Volksmund heißt – hier jeder Dreck am Stecken hat. Nach Angaben von Dietmar Pacheiner, dem leitenden Staatsanwalt in Klagenfurt, laufen allein in Kärnten Vorerhebungen in 23 Fällen: "Es steht nicht fest, welcher Partei sie zuzuordnen sind." Und schon am 28. Februar 1990 gab Innenminister Franz Löschnak (SPÖ) im Nationalrat zu: Allein von 1983 bis 1985 seien von 750 Mitarbeitern der Staatspolizei 700 Personen beschattet und etwa 59.000 "Akten" angelegt worden.

Für die FPÖ viel gefährlicher ist eine andere Entwicklung: daß nämlich Haider und seine Partei von den beherrschenden linken Medien als "nicht regierungsfähig" und "unberechenbar" abgestempelt werden. So lautet eine der Wiener Schlagzeilen dieser Tage: "Totales Chaos in der FPÖ". Das dürfte natürlich maßlos übertrieben sein – aber daß sich Haiders Partei in einer Krise befindet, ist kaum abzustreiten.

Der Übergang von der Protest- zur systemerhaltenden Regierungspartei ist nicht einfach . Endlich an der Regierung, erlebt die FPÖ das fast typische Schicksal eines Juniorpartners in einer Koalition. Während die ÖVP dank Kanzlerbonus und über prestigeträchtige Ressorts wie das Außenamt Beliebtheitspunkte sammelt, wird die FPÖ für das Unangenehme verantwortlich gemacht, das der junge FPÖ-Finanzminister Grasser für den österreichischen Durchschnittsverdiener bereithält. Die "Spitzelaffäre" drückt den österreichischen Wähler nicht so sehr – zumal dieser Wähler ein durchaus gesund-skeptisches Urteil über die ihn regierenden Politiker hat. Vielmehr ärgern ihn die zusätzlichen Belastungen. Warum, so fragt er sich, soll ich eine Partei belohnen, deren Finanzminister mir tief in die Tasche greift?

Gerade in diesem Punkt schlägt ein anderes Manko zu Buche: Der Partei, die jahrzehntelang in der Opposition war, fehlt es an einer Strategie der Selbstdarstellung. Daß die FPÖ weniger demokratisch sein sollte als die CDU unter Kohl, die CSU unter Stoiber oder die SPD unter Lafontaine, ist eine Legende. Aber Haiders junge Leute haben in mancher Hinsicht den Umgang mit der Öffentlichkeitsarbeit nicht gelernt. Sie "schießen" gerne aus der Hüfte, statt sich eine kühle Strategie zurechtzulegen. Sie tendieren dazu, auf die Provokation der Gegenseite einzugehen, statt das "Schlachtfeld" der Auseinandersetzung selber zu bestimmen. Nicht zu vergessen: Im Gegensatz zu den etablierten Großparteien SPÖ und ÖVP wirkt die (angeblich "totalitäre", von einem einzelnen Mann – Haider – beherrschte) Partei eher diffus und schlecht organisiert. Es ist eine Partei, in der Quereinsteiger über Nacht zum Zuge kommen können – in der dann aber auch ein abrupter Absturz möglich ist. Sicher gibt es starke Kräfte, die Grund genug haben, der FPÖ Kompetenz und Seriosität abzusprechen, damit die Koalition womöglich zu sprengen. Eine nicht-SPÖ-geführte Regierung darf kein Erfolg werden, heißt die Parole. Es liegt nicht zuletzt am taktischen Geschick und strategischen Blick der FPÖ und ihrer Führung, ob die Rechnung aufgeht und sich Wiens "bürgerliche" Regierung am Ende selber sprengt.


 
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