© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Kolumne
Demo-Gedanken
von Peter Sichrovsky

Wer kann sich nicht an die Erotik einer Demonstration erinnern? Schon als Student war das die ideale Möglichkeit, all diese aufgestauten Energien der Jugend gemeinsam loszuwerden. Und außerdem – die Initiatoren der Protestmärsche mögen mir diese Banalität verzeihen – waren damals immer die hübschesten Frauen bei den Demonstrationen. Ob Vietnam oder Ostermärsche, Antifa-Spaziergänge und 68er-Revolte; wer Single und auf der Suche nach einer begeisterten Begleiterin war, mußte einfach mitmarschieren.

Ich versuchte unlängst festzustellen, ob sich heute daran etwas geändert hat. Bei der üblichen Donnerstags-Demonstration in Wien stellte ich mich an den Rand der Straße und wartete auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Doch wie groß war meine Enttäuschung. Da kam eine Gruppe von schwarzgekleideten Männern und Frauen mit Eisenketten durch Wange und Nase, mit verfilzten, buntgefärbten Haaren – und alle sahen sie aus, als hätten sie seit Wochen kein Bad genommen. Manchmal war die Schönheit noch hinter der krampfhaft aufgetragenen Verzweiflung zu entdecken, doch man mußte schon genau hinsehen, wie durch einen Schleier. Was für ein Unterschied zu 1968, dachte ich mir! Was war das für eine fröhliche Revolution mit Blumenkindern und demonstrativem Lachen. Wie ernst sich diese Marschierer heute nehmen und wie verzweifelt sie danach wieder nach Hause gehen müssen.

Vielleicht – so dachte ich mir – fehlt diesem Protest einfach der Humor? Wer sich als Widerstandskämpfer fühlt, dem vergeht vielleicht ganz von allein das Lachen und er ist jeden Abend froh, daß ihn die "Nazis" auch heute wieder nicht erwischt haben. Er weigert sich, eine Dusche zu nehmen, es könnte ja sein, daß ihn der Nachbar hört und ihn verrät – und dann im Gefängnis, oh Gott, vielleicht wird er gar noch gequält und gefoltert, wie er es damals im Kino sah! Nun, wahrscheinlich verstehen wir das alles nicht, sind zu alt und zu satt geworden und sehen die echten Gefahren nicht mehr. Wer so wütend auf die Menschen ist, muß sie als Böse erkennen, und kein noch so schwacher Moment darf diesen Eindruck unterbrechen.

Als die Demonstration vorbei war, ging ich nach Hause und war schrecklich depremiert. Was haben wir Freiheitlichen nur diesen paar Protestierern angetan, daß sie mit so viel Selbsthaß sich selbst verhöhnen? Sie sehen aus wie der Teufel und wollen das Böse bekämpfen. Sie wollen uns Freiheitlichen klarmachen, daß wir Schuld an ihrem düsteren Dasein haben, und wir verstehen es nicht einmal.

 

Peter Sichrovsky ist Europaabgeordneter und für Außenpolitik zuständiger Generalsekretär der FPÖ.


 
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