© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000


Nationale Angelegenheit
von Ekkehard Schultz

Ende der vergangenen Woche trafen sich der österreichische Bundeskanzler Schüssel und der tschechische Ministerpräsident Zeman in der Nähe von Brünn zu einem Gespräch über das umstrittene südböhmische Kernkraftwerk Temelin, dessen Ergebnisse weder für die eine noch für die andere Seite Anlaß zur Befriedigung sein können. Die tschechische Seite ließ sich auf ein erneutes Sicherheitsgutachten verpflichten, machte allerdings deutlich, daß sie den Termin des regulären Reaktorbetriebs keinesfalls mehr zu verschieben gedenke. Den Österreichern wurde wieder einmal klargemacht, daß sich Alleingänge in der Energiepolitik derzeit (noch) nicht rentieren, solange kein internationales Recht verletzt wird.

Längst haben die offiziellen Vertreter Tschechiens begriffen, daß die EU-Sanktionen das Renommee des Nachbarstaates ernsthaft in Frage gestellt haben. So kann man nahezu ungehindert von lästigen Bedenken das Temelin-Projekt als nationale Angelegenheit verkaufen, dessen Durchsetzung auch einen moralischen Sieg über das ökonomisch beneidete Österreich darstellen würde.

Damit ist auch die Zeit der friedlichen Blockaden an den Grenzübergangsstellen definitiv vorbei. Am letzten Wochenende wurden einer österreichischen Demonstrantin von erbosten Tschechen vier Finger gebrochen, einem Demonstranten mit einer Eisenstange schwere innere Verletzungen zugefügt. Angetrunkene tschechische Kraftfahrer richteten mit dem Verschieben mehrerer PKWs in Straßengräben erheblichen Sachschaden an. Wenn es dem Esel zu wohl wird ...


 
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