© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
WIRTSCHAFT
Polen unter vorzeitiger EU-Verwaltung
Bernd-Thomas Ramb

Aus der Sicht der EU klingt eigentlich alles ganz sinnvoll. Europa will den Gasbezug aus Sibirien in den nächsten 10 Jahren verdoppeln. Die bestehende Pipeline soll deshalb und aus Gründen der Sicherheit durch eine zweite Gasleitung ergänzt werden. Beide Linienführungen laufen über Polen, die bestehende zuvor über die Ukraine, die geplante über Weißrußland. Der ukrainischen Pipeline, die mit derzeit 90 Prozent der Gesamtgaslieferungen praktisch ein Leitungsmonopol besitzt, wird zudem nachgesagt, unzuverlässig und teuer zu sein. Gerade in Zeiten steigender Ölpreise ist eine rundum sichere Versorgung mit russischem Gas von essentiellem europäischem Interesse.

Wie aber sieht es die andere Seite, in diesem Falle Polen? Traditionell steht diesem Land die Ukraine näher als Weißrußland. Der polnische Staatspräsident hat deshalb auch mit Nachdruck seinen Widerstand gegen die neue Gasleitung angekündigt, wenn die Ukraine dadurch Nachteile erleidet. Außerdem sei die bestehende Leitung erst zu 60 Prozent ausgelastet. Eine neue Leitungsplanung müsse deshalb im Einvernehmen mit der Ukraine erfolgen. Am meisten dürfte Polen jedoch wurmen, daß die EU-Kommission ihre Pläne eigenmächtig initiiert hat. Die polnische Regierung ist bis heute nicht gefragt worden, ob sie der neuen Leitungsführung, die immerhin über polnisches Territorium führt, überhaupt zustimmt. Sicher wird Polen vor der endgültigen Entscheidung noch in irgendeiner Form konsultiert werden. Ebenso sicher wird dieses Land, das sich für die EU-Mitgliedschaft bewirbt, keinen großen Widerspruch gegen die arroganten EU-Planer wagen. Gleiches gilt für die ebenfalls betroffene Slowakei. Die kleinen EU-Bewerbungsländer geraten bereits vor ihrem Beitritt in die erbarmungslosen Mühlen der Brüsseler Zentralverwaltung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen