© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Intrigantenstadl
CDU: Fraktionschef Friedrich Merz festigt seine Position im Machtgefüge der Union / Gerüchte um Angela Merkel
Paul Rosen

Wäre es nach den Betroffenheits-Ausschlägen der deutschen Gesellschaft gegangen, der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz wäre der Verlierer der jüngsten Ausländerdebatte gewesen, die sich an der Frage entzündet hatte, ob man im Wahlkampf über Einwanderung reden darf. Doch laufen in Mediengesellschaften Realität und öffentliche Wahrnehmung derselben nicht nur in diesem Fall auseinander. Nach einer Reihe von hektischen Sitzungen in der Führung von Partei und Fraktion der CDU in Berlin sah das Bild völlig anders aus: Merz ging gestärkt aus der Debatte um die "Leitkultur" hervor, die sich abwartend bis kritisch äußernde CDU-Chefin Angela Merkel blieb als Verliererin auf der Strecke.

Entscheidend für Merz war die letzte Sitzung der Unionsfraktion. Dort hatte der Vorsitzende noch einmal an den Ablauf der Dinge erinnert: Daß er keinesfalls von sich aus das Ausländerthema zum Schwerpunkt für den Wahlkampf 2002 erklärt, sondern nur auf Fragen geantwortet habe. Verteidigungsreden hatte der Vorsitzende jedoch nicht nötig. Die große Mehrheit der Unionsabgeordneten bedachte Merz immer wieder mit massivem Beifall. Mehrfach wurde er von Abgeordneten ebenfalls unter starkem Beifall aufgefordert, an dem in der Öffentlichkeit besonders heftig umstrittenen Begriff der Leitkultur festzuhalten.

Anders die Lage der Parteivorsitzenden Merkel: Als sie in derselben Sitzung noch einmal ihre Einwände wiederholen wollte, wurde sie mehrfach von Zwischenrufen unterbrochen. Sitzungsteilnehmer schilderten später, noch nie habe während der Rede der Parteivorsitzenden eine solche Unruhe im Saal geherrscht. Wenn früher die Vorsitzenden Helmut Kohl oder Wolfgang Schäuble geredet hätten, sei es mucksmäuschenstill gewesen. Diesmal nicht.

Parallel dazu verbreiteten sich in Berlin Gerüchte: So heißt es, Frau Merkel werde von vielen Bundestagsabgeordneten dazu gedrängt, die Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen. Damit könne die CDU ein besonders klares Spiel gegen die Regierungsbeteiligung von Kommunisten setzen. In Schwerin regiert – bislang deutschlandweit einmalig – eine Koalition von SPD und PDS. Für die vielen Merkel-Gegner in der Partei hätte die Kandidatur besonderen Charme: Dann wäre die Rostocker Pastorentochter sofort aus dem Wettlauf um die Kanzlerkandidatur, weil sich die Spitzenkandidaturen im Bund und im Land Mecklenburg-Vorpommern aus zeitlichen Gründen gegenseitig ausschließen. Übrig blieben dann für den Kampf gegen Kanzler Gerhard Schröder entweder Merz oder einer der Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) beziehungsweise Edmund Stoiber (Bayern).

Dies sieht nach einer Gegenreaktion zu Gerüchten aus, in denen es geheißen hatte, Frau Merkel habe durch das Auswechseln ihres Generalsekretärs Führungsstärke gezeigt und sich damit für die Kanzlerkandidatur gewissermaßen selbst nominiert. Die Gerüchte dürften gezielt aus dem Adenauer-Haus gestreut worden sein, um den "Marktwert" der Vorsitzenden zu testen. Auch wurde spekuliert, Frau Merkel könne nach der Bundestagswahl 2002 den Fraktionsvorsitz übernehmen, wenn die Wahl verloren gehen sollte (was derzeit fast die gesamte CDU glaubt), und damit Merz ablösen. Nach der eindeutig für Merz und gegen Merkel verlaufenen Fraktionssitzung kühlte die von der Parteizentrale angeheizte Gerüchteküche ganz schnell wieder ab.

Schließlich hatte der neue Generalsekretär Laurenz Meyer, den Frau Merkel im Eilverfahren aus dem nordrhein-westfälischen Landtag nach Berlin geholt hatte, die Wahrheit gesagt, als er bei seiner ersten Pressekonferenz erklärte, noch einen Mißgriff bei der Auswahl des Generalsekretärs dürfte sich die Vorsitzende nicht erlauben. In der CDU wird inzwischen davon ausgegangen, daß Meyer den provokativen Begriff "Mißgriff" mit Bedacht gebraucht hat, um der Vorsitzenden klarzumachen, daß sie am seidenen Faden hängt. Denn ihre Hausmacht in Mecklenburg-Vorpommern hilft Frau Merkel nicht. Die dortige CDU hat so viele Mitglieder wie der Kreisverband Bonn.

Die Situation der CDU ist aber trotz des Erfolges für den bei Konservativen recht beliebten Merz alles andere als erfreulich. Der stellvertretende Parteivorsitzende Volker Rühe hat sicherlich recht mit seiner Einschätzung, die innerhalb der Partei strittige Einschätzung der Ausländerpolitik hänge vor allem damit zusammen, daß es an eindeutigen Aussagen mangele.

Auch der Verweis von Merz, man habe zu dieser Thematik ein Papier des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Bosbach, hilft nicht weiter. Bosbachs Papier ist angereichert mit Allgemeinplätzen, fordert zwar eine Verringerung des Zustroms an illegalen Einwanderern und von Asylbewerbern, aber es markiert die Bundesrepublik doch sehr deutlich als Einwanderungsland. So deutlich, daß das Papier auf Druck der CSU auf einer Fraktionsklausur in Luckenwalde vom Markt genommen werden mußte und seitdem im Status einer "Diskussionsgrundlage" schwebt. Von einer klaren Beschlußlage kann nicht die Rede sein, gerade auch deshalb nicht, weil die Einwanderungskommission der CDU unter Vorsitz des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller noch nicht einmal mit ihrer Arbeit begonnen hat.

Gegen die "Leitkultur" von Merz stehen auf der anderen Seite die Protagonisten der "multikulturellen Gesellschaft" in der CDU: Heiner Geißler einerseits und Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth andererseits, die gerade den Vorsitz der Zuwanderungskommission der rot-grünen Bundesregierung übernommen hat. Zwar spricht Frau Süssmuth in keiner Weise für die CDU, doch wird sie die Rechnung der Regierung aufgehen lassen, das öffentliche Erscheinungsbild der Opposition möglichst zerstritten aussehen zu lassen. "Nützliche Idioten" nannte man das früher.

Von Frau Merkel sind weder in der Ausländerthematik noch in anderen Fragen eindeutige Aussagen zu erwarten. Die CDU-Chefin verhält sich gezielt opportunistisch und wartet ab, wohin der Strom der öffentlichen Meinung fließt, weil sie glaubt, daß dort Mehrheiten liegen. Doch Mehrheiten ergeben sich nicht von allein – sie müssen gezielt gewonnen werden, notfalls gegen den veröffentlichten Druck der Political Correctness. Merz hat gezeigt, wie es zu schaffen ist.

Doch kann man sich angesichts des allgemein desolaten Zustandes der CDU keineswegs sicher sein, ob der Fraktionschef bei seiner nächsten Extratour nicht wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen wird.


 
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