© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Debatte außer Kontrolle
Mit der Besetzung politischer Begriffe sollen Mehrheiten gewonnen werden
Dieter Stein

Mit dem Wechsel des Generalsekretärs hat nun für die CDU der Vorwahlkampf zur Bundestagswahl 2002 begonnen. Den Auftakt für die Aufnahme der wortgewaltigen kriegerischen Handlungen im Felde der politischen Begriffe bildete die von der Bundesregierung ausgerufene "Kampagne gegen Rechts", die das gesamte Sommerloch überschattete und nun auch nach dem Beginn der Sitzungswochen des Bundestages und der Wiederaufnahme des Alltagsgeschäfts in den Herbst hineinschwappt. Im Rahmen einer solchen politischen Auseinandersetzung zwischen zwei gegenüberliegenden politischen Lagern geht es um eine Schärfung der Konturen, um für die Wähler unterscheidbar zu bleiben. Aus dem "Konsens der Demokraten" droht sich freilich stets nur der jeweilige Gegner zu verabschieden – je nach Standort, versteht sich.

Die Besetzung eines Begriffs kann im Wahlkampf kriegsentscheidend sein. Der Staatsrechtler Helmut Quaritsch erklärte einmal, daß "im Kampf der Geister ... die Besetzung eines Begriffs so wichtig (ist) wie im Kriege die Eroberung einer Festung". Dieser Tage läßt sich gut beobachten, wie die Schlachtformationen der großen und kleinen Parteien hin und her wogen, wild ineinander verkeilt, um die kampfentscheidenden Begriffs-Festungen einzunehmen.

Herbert Kremp erinnerte jetzt in der Welt am Sonntag daran, daß Wahlkämpfe und Politikwechsel oft über die Besetzung neuer politischer Begriffe entschieden wurden. So trat Willy Brandt 1969 mit der Formel "mehr Demokratie wagen" an – und entzog der Opposition damit den Begriff der Demokratie. Die Leitbegriffe "Freiheit und Einheit" wurden zeitgleich durch "Frieden und Entspannung" abgelöst. So zielt "die Herrschaft über Begriffe auf die fraglose Ausübung von Macht", so Kremp, "es geht um die geistige Hegemonie, es geht um die Vertreibung des Gegeners aus dem gelobten Verfassungsland".

Dank des beinahe widerstandslosen Akzeptierens der Parole "Kampf gegen Rechts" ist es den Strategen der Berliner Linksparteien, die sich zur "Neuen Mitte" umgewidmet haben, gelungen, die Hälfte des demokratischen Spektrums, nämlich die "Rechte" zu einem schmalen Grat zwischen "Neuer Mitte" und verbrecherischem Extremismus schrumpfen zu lassen. Der politische Begriff "Rechts", in vielen westlichen Ländern mit dem satten Beiklang patriotischer Werte, Modernität, Tradition, Recht und Gesetz versehen, hat in Deutschland in einer gelungenen Metamorphose die Umwertung in einen polemischen Begriff erlebt, mit dem man die verwerflichsten aller nur denkbaren Positionen versieht. Die Orwellsche Umdeutung erlebt ihren Triumph, wenn menschenverachtende Straftaten Jugendlicher gegen Minderheiten widerspruchslos mit größter Selbstverständlichkeit als "rechts" deklariert werden können.

Im Rahmen eines solchen politischen Kampfes ist es ein schwerwiegender Fehler, einen vom politischen Gegner aufgeladenen Begriff anzuerkennen. Ernst Jünger erklärte einmal treffend, es sei der erste Schritt zur Kapitulation, die Fragestellung des Gegners zu übernehmen. So gibt es eine starke Gruppe in der Funktionärsebene der CDU, die genau diesen Fehler am laufenden Band begeht, Begriffe der rot-grünen Regierungsparteien zu akzeptieren und in die eigene Rhetorik zu übernehmen. Diese übernommenen Begriffe wirken wie Bomben mit Zeitzünder. Mit einer gewissen Verzögerung zerlegen sie die Stellung der Betreffenden in ihre Einzelteile, die Front ist geschwächt.

Zufrieden konnten sich die Vertreter der Regierungsparteien so in den letzten Wochen zurücklehnen und genießen, wie die bis vor kurzem auf die Spitze getriebene "Kampagne gegen Rechts" wirkte. Unter dem medialen Trommelfeuer brach jeder Widerstand gegen die obskure Mobilmachung gegen "Rechts" zusammen. So fügten sich alle Bundestagsparteien in die nach DDR-Vorbild kreierten "Nationale Front" ein, die ausgerechnet am 9. November in Berlin eine Großdemonstration "gegen Rechts" durchführen. Der Bundestag unterbricht für vier Stunden seine Sitzungen, damit die Volksvertreter gegen das eigene Volk demonstrieren – verklausuliert, versteht sich, hinter sinistren "antirassistischen" Parolen. Gebrochen werden soll unter dieser Kampagne jeder Widerstand in der Bevölkerung gegen eine Politik der Verwandlung Deutschlands in eine multikulturelle Gesellschaft anstelle eines demokratischen Nationalstaates.

Wie kam es, daß sich dann dieser Tage plötzlich sogar die grüne Vorstandssprecherin Renate Künast vom Begriff der multikulturellen Gesellschaft absetzt? Daß selbst in der PDS ein hitziger Streit über die Nation ausgebrochen ist, die neue Vorsitzende Gabi Zimmer frei heraus gesteht, sie liebe Deutschland und halte es für notwendig, daß sich die Linke zur deutschen Nation bekennt: "Ohne Nationalstaaten kein solidarisches, soziales Europa."

Der Grund für den Stimmungsschwenk: Friedrich Merz brachte kürzlich die von Bassam Tibi geprägte Formel von der "deutschen Leitkultur" ins Spiel – der Begriff fiel scheinbar beiläufig im Rahmen einer Pressekonferenz –, dies war ein Überraschungsangriff in die Flanke der Regierungsparteien. Seit zwei Wochen tobt deshalb die Schlacht um die Intepretation dieser "Leitkultur". Ein wunderbarer und idealer Begriff, denn er ist so unkonkret und vielfach interpretierbar wie "Frieden" oder "Freiheit" – beste Voraussetzung, um den Gegner restlos zu verwirren. Die Regierungsparteien haben seit dem Merz’schen Coup prompt größte Probleme, Gehör für ihre eigenen Inhalte zu bekommen.

Jetzt wird auf einmal – was verhindert werden sollte – gestritten, was das Zeug hält, über Einwanderung, über nationale Identität, über die Form der Integration von Ausländern – kurz, es stehen Themen im Zentrum der öffentlichen Debatte, die die politischen Kräfte von Gregor Gysi bis Heiner Geißler aus der Debatte heraushalten wollen – weil sie dabei in eine Minderheitenposition geraten. Schließlich ist seit Jahren eine erdrückende Mehrheit der Bevölkerung gegen Masseneinwanderung, multikulturelle Experimente und den Abschied vom Nationalstaat.

Muß eine politische Debatte in einer Demokratie in den kämpferischen Ausschluß des Anderen münden? Nein. Es würde von republikanischer, demokratischer Reife in Deutschland zeugen, wenn die Kriminalisierung des politisch Andersdenkenden, wie wir es aus der Zeit des amerikanischen Kommunistenjägers McCarthy kennen und derzeit unter umgekehrten Vorzeichen erneut erleben müssen, ein Ende fände und man zum zivilisierten Streit zurückkehren würde.


 
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