© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gesichtswahrung
Karl Heinzen

"Wir müssen eine Verständigung darüber herbeiführen, daß Parteiämter immer nur auf begrenzte Zeit ausgeübt werden", hat Ruprecht Polenz noch vor kurzem selbst gefordert. Nun sind seinen Worten die Taten Angela Merkels gefolgt. In den zurückliegenden sechs Monaten seit seiner Ernennung zum Generalsekretär hat er seine Aufgabe als Vor- und Querdenker so ernst genommen, daß man befürchten mußte, er würde sich eines Tages nur noch selbst kopieren können. In diese Gefahr wird er nun nicht mehr geraten.

In seinem politischen Vermächtnis empfiehlt Ruprecht Polenz der CDU vor allem Offenheit. Nichtparteimitglieder sollen in der Willensbildung der CDU nicht länger diskriminiert werden. Inländern ausländischer Herkunft ist ins Gewissen zu reden, daß sie die Union stärken und diese damit in die Lage versetzen, sich weiterhin ungeschmälert jenen Immigranten zu widmen, die noch nicht im Vollbesitz der staatsbürgerlichen Rechte sind.

Ausländer sind die Zukunft – auch die der CDU: Zu ihren Vereinigungen sollte daher, dies der Wunsch von Ruprecht Polenz, schon bald eine hinzukommen, die die "deutschen Neubürger" organisiert. Sein Anliegen werden diejenigen, die ihm nachfolgen, nicht ignorieren können. Sie werden allerdings auch über diesen Schritt hinausgehen müssen, damit er nicht bloß als Geste mißverstanden werden kann und sich tatsächlich in die nicht anders als umwälzend zu konzipierende Modernisierung unserer Gesellschaft einfügt.

Die unkontrollierte Immigration, die zu keiner Zeit geduldet oder gefördert wurde, damit sie als Unterwanderung empfunden würde, soll nun durch einen geregelten Zustrom von hochqualifizierten Arbeitskräften ergänzt werden, der von den Einheimischen durchaus als Überlagerung wahrgenommen werden darf. Einwanderer, zu denen man aufblickt, weil sie mehr verdienen und mehr Einfluß haben, werden vielleicht nicht geliebt, aber doch gefürchtet und geachtet. Es wäre unklug, sich an ihnen zu stoßen oder gar zu vergreifen, da sie den Autochthonen die Rente garantieren. Den deutschen Eliten fällt es zudem leichter, kultivierte Ausländer aufzunehmen als ungehobelte Aufsteiger aus den kaum begreiflichen Unterschichten. Die demographischen Probleme unseres Landes werden um so reibungsloser durch Einwanderung gelöst werden können, je früher und je massiver die Neubürger über das Maß ihres tatsächlichen Anteils an der Bevölkerung hinaus verantwortliche Positionen auch in der Politik besetzen.

Die CDU ist hier vielleicht sogar zusätzlich motiviert, die Initiative zu ergreifen: 2002 hat sie die Chance, mit der ersten Frau, die von einer Volkspartei für das Amt des Bundeskanzlers ins Rennen geschickt wird, ehrenvoll zu scheitern. 2006 bleibt ihr für eine vergleichbare Gesichtswahrung in aussichtsloser Position nur noch die Kandidatur eines Immigranten übrig. Die Weichen für einen solchen Achtungserfolg gilt es schon heute zu stellen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen