© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Dem Irrsinn nahes Weichei
Kino I: "Ich, beide und sie" von Bobby und Peter Farrelly
Claus-M. Wolfschlag

Jim Carrey hat durchaus schauspielerisches Format aufzuweisen, auch wenn frühere Blödelrollen ("Ace Ventura – ein tierischer Detektiv"; "Die Maske") anderes vermuten ließen. Sicher gehört zu Carreys Stilmitteln die expressive Mimik, die ihn vielleicht zu anderen Zeiten zum Stummfilm-Revolutionär gemacht hätte. Doch bereits 1998, in Peter Weirs "Truman Show", konnte er beweisen, daß er durchaus in der Lage ist, seine ausladende Gesichtsakrobatik auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, wenn dies die Rolle erfordert. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei Carreys neuestem Streifen, in dem er die richtige Mitte zwischen mimischem Irrsinn und komödiantisch überhöhter Charakterdarstellung findet.

In "Ich, beide und sie" verkörpert Carrey Charlie Baileygates, einen Polizisten aus Jamestown/Rhode Island, in dem sich Gutmütigkeit und kleinbürgerliche Vertrottelung paaren. Neun Monate nach seiner Hochzeit gebiert ihm seine junge Frau drei Söhne – allerdings mit schwarzer Hautfarbe, ohwohl die Eheleute typische Anglo-Amerikaner sind. Diese natürliche Sonnenbräune scheint Charlie nicht sehr zu interessieren oder zu beunruhigen. Doch der zäh verdrängte Verdacht, daß etwas mit seiner Ehe nicht stimmen könnte, wird für Charlie zur Gewißheit, als ihn seine geliebte Frau eines schrecklichen Tages einfach verläßt, um fortan mit einem schwarzen Liliputaner, den sie als "Seelenpartner" empfindet, zusammen zu leben. So gehen die Jahre einsam für Charlie dahin, der liebevoll seine drei Jungs großzieht und pflichtbewußt seinen Dienst bei der Polizei verrichtet. Von den Bewohnern des Ortes wird Charlie allerdings nicht ganz ernst genommen, da er als "Weichei" gilt, das den Willen des Gesetzes aus Konfliktscheu nicht so eng auslegt.

Eines Tages jedoch kommt Charlies andere Seite zum Vorschein. Im Moment tiefster Erniedrigung entwickelt er sich zur Gestalt des Hank Evans, der alle Eigenschaften in Reinform verkörpert, die Charlie 18 Jahre lang erfolgreich unterdrückt hat: Hank ist ekelhaft, laut und gewalttätig. Und seine Gedanken kreisen nur um die Rache für die Demütigungen der vergangenen Jahre. Der mit dem Fall beauftragte Polizeipsychologe diagnostiziert bei Charlie eine Persönlichkeitsspaltung, Medikamente werden verabreicht, um die Figur des Hank medizinisch unterdrücken zu können.

Bald darauf erhält Charlie den Auftrag, die angeblich wegen Fahrerflucht festgenommene junge Frau Irene Waters (Renée Zellweger) nach New York zu eskortieren. Auf der Fahrt entwickeln sich zahlreiche Turbulenzen; Verbrecher und das FBI treten auf den Plan, so daß nur noch Charlie und Hank der schutzlosen Irene physischen und seelischen Beistand leisten können.

Ein wilde Mixtur, die die Farrelly-Brüder – bekannt geworden durch Streifen wie "Dumm und dümmer" oder "Verrückt nach Mary" – als Regisseure und Drehbuchautoren zum Besten geben: Das Road-Movie, bei dem zwei Gejagte seelisch zusammenwachsen, die Verschwörungsintrige zwischen Geheimdienst und Verbrecherwelt, die Sozialstudie über kleinbürgerliche Degeneration und den gewaltsamen Ausbruch aus dieser, die Verballhornung zahlreicher Filmklischees. Ebenso die Personen: Der schizophrene Polizist – halb Versager, halb Schläger –, der schwarze Liliputaner auf FreiersBüßen, die beleibten Mulattensöhne, deren "Motherfucker"-Gequatsche kaum auf kultureller Prägung beruhen kann, der trandösige Albino-Kellner, der sich scheinbar aufs Töten versteht. Kurzum: Der Irrsinn ist Programm, doch er präsentiert sich eher unaufdringlich und durchweg gelungen.

"Ich glaube nicht, daß den Leuten häufig das Wort erwachsen einfällt, wenn sie an uns denken", scherzte Bobby Farrelly über seine Arbeitsweise. Und so werden zahlreiche Geschmacklosigkeiten und Witze unter der Gürtellinie auf den Zuschauer losgelassen, ohne allerdings daß der Zuschauer sich deswegen pikiert oder beleidigt fühlen müßte. Hauptdarstellerin Renée Zellweger erklärte dazu: "Es gibt guten Geschmack, schlechten Geschmack und Farrelly-Geschmack. (...) Die beiden zerren einfach jedes Tabu ans Licht und wir lachen drüber, weil wir alle wissen, irgendwo existieren diese Dinge, aber wir befassen uns nicht mit ihnen." Zellweger hat es auf den Punkt gebracht.


 
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