© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Neue Deutsche Jugendbewegung
1. Musik- und Tanzfest der Zeitschrift "wir selbst"
Hanno Borchert

Ob Oi-Mucke oder House, Metal, Gothic, Neofolk oder bündisches Liedgut: Schon lange ist Musik Dreh- und Angelpunkt im Leben von "Kids" und Jugendlichen. Musik hat nicht nur als reines Hörerlebnis eine Funktion, sondern auch als individuelles Ausdrucksmittel, und ist wie der Sport Lebensstil. Körper- und Klamottenkult, Klangerlebnis und Lebensgefühl schweißt junge Menschen innerhalb der verschiedenen, teils von der Gesellschaft und der Klamottenindustrie künstlich geschaffenen antagonistischen Klassen von Jugendlichen emotional zusammen.

Jugend ist nicht nur Marktsegment oder Problemgruppe, sondern immer auch handelndes Subjekt, und sucht in einer Zeit, da wir "wie Verdurstende über Wasseradern von unendlicher Kraft" leben, wie Ernst Jünger es ausdrückte, nach alternativen Ausdrucks- und Identifikationsformen.

Mit dem 1. Musik- und Tanzfest unter dem Motto "Liedg(...)ut- Freies Volk in freiem Land" knüpfte nun die Zeitschrift für nationale Identität, Wir selbst, im neuen Jahrtausend an die historische Linie von "Sturm und Drang", der Jugendbewegung, den Burg Waldeck-Festivals in der ersten Hälfte der Sechziger und der neuen Volksmusik Anfang der Siebziger an. Der Einladung waren gut 150 meist junge Menschen gefolgt. Umrankt von Schwarz-Rot-Gold, der Fahne der 48er-Revolution, der Fahne der Freiheit, führte der Liederpoet Friedrich Baunack mit anrührender Poesie und eigenen Liedern durch den Tag. Das thüringische Duo Eichenlaub, der Liedermacher Dirk Bojer, der Bänkelsänger Martin Pulz, "Sleipnier" mit seinen politischen Balladen, und aus dem Bündischen kommend eine Wandervogelgruppe sowie der Freibund brachten mit ihren Liedern das Publikum zum Glühen. Die "Birkler" versetzten mit ihren mehrstimmigen Chorsätzen und Instrumentalbegleitungen die Gäste in einen Rausch der Begeisterung und wurden erst nach unzähligen Zugaben von der Bühne entlassen. Am Abend "verführte" der Freibund dann zum Volkstanzen. Und siehe da – über alle vermeintlichen Gräben hinweg wurde bis spät in die Nacht ausgelassen miteinander getanzt. Diese Infragestellung erklärtermaßen "gültiger" Grenzziehungen löste ein befreites Lachen aus. Ein Fest der besonderen Art, gleichzeitig szenenübergreifende Kontaktbörse. Dazwischen quirlige Kinder, draußen ein großes Zeltlager. Tagsüber Sonnenschein, in der Nacht gleißender Sternenhimmel. Die Poesie der Lieder ist eng verbunden mit der Poesie des Lebens. Eine neue Jugendbewegung, notwendiger denn je, ist schon längst dabei, Wirklichkeit zu werden. Wer nächstes Jahr nicht kommt, hat selber schuld.


 
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