© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Ein Regenpfeifer
Armin Mohlers Einführung in das Werk des Sozialphilosophen Georges Sorel
Piet Tommissen

Kaum hat der junge Verlag Edition Antaios eine schön ausgestattete und schon der Bibliographie wegen beachtenswerte kleine Festgabe zum 80. Geburtstag von Armin Mohler herausgegeben, schon ergreift er eine sowohl erfreuliche als ambitiöse Initiative. In einer "Perspektiven" getauften Reihe sollen einem jungen, akademischen Publikum Einführungen in Leben und Werk bedeutender Denker (zum Beispiel Heidegger) und Forscher (zum Beispiel Gehlen) sowie in einzelne Sachgebiete zur Verfügung gestellt werden. Jeder Band wird etwa 100 Seiten umfassen und nicht nur den Lebenslauf einer Person bzw. die Quintessenz einer Tendenz, sondern darüber hinaus eine zuverlässige Bibliographie enthalten.

Der erste Band dieser neuen Reihe entspricht jedenfalls den Absichten der Herausgeber und den Erwartungen des geneigten Lesers. Er ist dem in Deutschland vernachlässigten französischen Denker Georges Sorel (1847–1922) gewidmet, und nicht von ungefähr von dem derzeit kompetentesten Sorel-Kenner in diesem Lande anvertraut worden. Mohler hat ja dezennienlang Soreliana gesammelt, vom Franzosen entscheidende Anregungen erhalten und sich wiederholt zu ihm geäußert, wie Karlheinz Weißmann in einem kenntnisreichen Nachwort ausführt.

Um es klar zu sagen: Mit seinem Ansatz trifft Mohler ins Schwarze. Er nennt Sorel einen Regenpfeifer. Das sind jene Zugvögel, von denen im Volksmund behauptet, daß sie Regen ankündigen und dementsprechend Fruchtbarkeit, ja neues Leben in Aussicht stellen. Wohl deswegen taucht ihr Name in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in der Geschichte des politischen Denkens auf, zur Charakterisierung politischer Denker, die nicht im Schritt liefen, sondern sich eigenbrötlerisch benahmen – und dennoch (oder gerade darum?) Einfluß auszuüben vermochten. Laut Mohler glichen sie sich nur darin, daß sie Warner waren, vor fortschreitender Dekadenz und sich anbahnender Zerstörung, und zugleich Anwälte radikaler Gegen-Maßnahmen.

Hochkarätige Regenpfeifer waren Friedrich Nietzsche, Max Weber, Vilfredo Pareto, Miguel de Unamuno, Thorstein Veblen – und erst recht Georges Sorel. Er ist übrigens ein Sonderfall, denn sein "Pfeifen hörten seine Landsleute gar nicht" . Demgegenüber wurde seine Bedeutung im Ausland erkannt, am deutlichsten von dem Engländer Wyndham Lewis, Vertreter der künstlerischen Avantgarde, Autor wichtiger Bücher und Herausgeber von Zeitschriften: "Georges Sorel is the key to all contemporary political thought" (1926). Diese Aussage hat Carl Schmitt in einer Fußnote der zweiten Auflage seiner Schrift über den Parlamentarismus (1926) seiner deutschen Leserschaft ans Herz gelegt. Schmitt hatte allerdings im Ersten Weltkrieg in München einige Bücher von Sorel exerpiert und ihn bereits in seinem Buch über die Diktatur (1921) erwähnt. Aber wie Weißmann richtig sagt, zog Thomas Mann Sorel schon 1918 heran, und – das ist ihm wohl entgangen – noch andere deutsche Autoren haben den Franzosen früh entdeckt: im Jahre 1921 etwa die intellektuellen Antipoden Hermann Graf Keyserling und Walter Benjamin.

Für die tatsächlich lückenhafte Vita Sorels beruft Mohler sich auf die Biographie, die wir Pierre Andreu verdanken. Daß er deswegen die Möglichkeit in Kauf nimmt, daß inzwischen neue Fakten ans Licht gebracht worden sind, macht nichts aus, denn es kann sich nur um Nebensächlichkeiten handeln. Andererseits wäre vor allem jungen Lesern zu empfehlen, zunächst die Zeittafel zur Kenntnis zu nehmen; sie erleichtert das Verständnis der biographischen Passagen, zumal in den diesbezüglichen Kapiteln Näheres über die Lehren Sorels ausgesagt wird. In diesem Zusammenhang verdient das "Die Synthese Georges Sorels" überschriebene sechste Kapitel eine besondere Erwähnung. Mohler kennzeichnet abermals "Gewalt" und "Mythos" als Sorels Kernbegriffe und belegt anhand einiger Auszüge, daß die deutschen Interpreten Carl Schmitt und Ernst Wilhelm Eschmann sich darüber im klaren waren.

Im selben Kapitel zieht er nochmals Zeev Sternhell heran, den er im fünften Kapitel als Auslöser des französischen Historikerstreits präsentiert hatte. Aus Platzmangel muß auf eine Diskussion dieser Seiten, die das Wesen der Konservativen Revolution in Mittelpunkt rücken, verzichtet werden.

Zur Bibliographie ist folgendes zu sagen: Sie berücksichtigt im Prinzip nur selbständige Schriften von und über Sorel. Dem kann man nur beipflichten, weil das Pariser Jahrbuch Mil neuf cent alljährlich die neueste Sekundärliteratur auflistet. Leider fehlt in Mohlers Buch ein wichtiger Hinweis: Die dort zwischen 1983 und 1998 abgedruckten Listen liegen geschlossen vor, und zwar als Anlage eines Nachdrucks aller Artikel Sorels, die 1898 bis 1912 in den Zeitschriften Rivista critica del socialismo, Devenire sociale, La Voce und Il Giornale d’Italia erschienen sind ("Decadenza parlamentare", Mailand: M & B Publishing S.R. 1, 1998, S. 197–255).

Angesichts der Graphomanie Sorels einerseits und der Tatsache, daß viele der von ihm ins Treffen geführten Personen und Fakten obsolet geworden sind andererseits, befürwortet Mohler mit gutem Recht "Anthologien als Ausweg" ; erstaunlicherweise erscheint jedoch die recht gute von Fernand Rossignol an falscher Stelle. Ferner fehlt der Ausgabe eine Spalte mit Literatur aus kleineren Sprachgebieten; im Flämischen zum Beispiel sind durchaus erwähnenswerte Bücher und Aufsätze zu verzeichnen.Diese (und andere) Lücken bzw. unterschiedlichen Ansichten beeinträchtigen keineswegs den Wert der von Armin Mohler geleisteten Arbeit.

 

Armin Mohler: Georges Sorel. Erzvater der Konservativen Revolution. Eine Einführung (mit einem Nachwort von Karlheinz Weißmann), Edition Antaios, Bad Vilbel 2000, 104 Seiten, 24 Mark


 
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