© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Vom Prügelknaben zum Hätschelkind
Parteien: Die SPD nähert sich immer mehr den alten Kadern der zur PDS gewendeten SED an
Paul Rosen

Gerhard Schröder saß 1987 gerade als Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag und mußte – was in seinem Leben selten vorkam – hart arbeiten, da unterzeichneten SPD und SED ihre später berühmt gewordene gemeinsame Erklärung. Beide Seiten müßten, so heißt es dort über das Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR, aber auch über das zwischen SPD und SED, sich darauf einstellen, noch lange Zeit miteinander auskommen zu müssen. Das hat Schröder, der später auch devote Briefe an den DDR-Herrscher Erich Honecker schrieb, nicht vergessen. War ihm schon 1990, als er Ministerpräsident von Niedersachsen wurde, die Zentralstelle zur Untersuchung von DDR-Verbrechen keine Finanzierungsbeteiligung mehr wert, so bändelt er zehn Jahre später mit den Nachfolgern der SED, der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), an.

Dem Machtmenschen aus Niedersachsen ist schon lange klar, daß ein Annäherungskurs der Sozialdemokraten in Richtung PDS die SPD nicht mehr vor Spaltungsprobleme stellt. Schon 1994, als die SPD in ihre "Dresdner Erklärung" hineinschrieb, eine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei "kommt für uns nicht in Frage", deuteten viele Sozialdemokraten den Text recht mutwillig um und bezogen die Ablehnung nur auf Bündnisse auf Bundesebene. Denn in Sachsen-Anhalt, wo die bürgerlich-liberale Koalition kurz danach ihre Mehrheit verlor, stand die Probe aufs Exempel bevor: Es galt, das "Magdeburger Modell", die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung durch die PDS, in die Tat umzusetzen. Im September 1998 kam es in Mecklenburg-Vorpommern sogar zur Bildung der ersten rot-roten-Koalition.

Mit dem Schweriner PDS-Minister Helmut Holter konnte Schröder ohne Probleme direkt verhandeln und sicherte sich auf diese Weise die Stimmen des Landes für seine Steuerreform m Bundesrat, obwohl die PDS die rot-grüne Steuerreform zuvor als unsozial abgelehnt hatte. Die Reaktionen blieben eher milde. In der westdeutschen SPD sind die heute führenden Sozialdemokraten Bündnisse mit Kommunisten aus ihrer Studienzeit gewöhnt. Die Mehrzahl der Allgemeinen Studentenausschüsse wurde vor dem Fall der Mauer von Koalitionen aus Jungsozialisten, Grünen und dem "Marxistischen Studentenbund Spartakus", dem universitären Ableger der DKP, regiert. In den neuen Ländern, wo einheimische Sozialdemokraten zumeist aus den Oppositionsgruppen der Wendezeit stammen, scheint sich das "Stockholm-Syndrom" breitzumachen: Wie in der deutschen Botschaft in Schweden, wo Geiseln nach einiger Zeit Sympathien zu den Terroristen entwickelten, scheint sich auch in der ehemaligen DDR eine engere Opfer-Täter-Beziehung herauszubilden.

Natürlich reagiert die Opposition im Bundestag hart: "Was Herr Schröder und die SPD hier betreiben, ist nichts anderes als die Aufkündigung des antitotalitären Grundkonsens in unserem Land", schimpft zum Beispiel die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Und CSU-Chef Edmund Stoiber stöhnt, Schröders Kungeln mit der PDS würde den Verlust an politischer Glaubwürdigkeit im Einsatz gegen den politischen Extremismus bedeuten.

Doch den Kanzler ficht das nicht an. Demonstrativ ging er mit dem ehemaligen PDS-Chef Lothar Bisky kurz vor dessen Amtsende in ein Berliner Promi-Lokal zum Speisen. Das sei ein völlig normaler Vorgang, daß Vorsitzende von zwei Parteien sich zu einem Essen träfen, hieß es dazu aus dem Kanzleramt. Aus dieser Sicht was es auch völlig normal, daß SPD-Generalsekretär Franz Müntefering zum Abschiedsempfang für den scheidenden PDS-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Gregor Gysi, in einer Kneipe im Berliner Szene-Bezirk Prenzlauer Berg erschien. Noch nicht ganz normal, weil in der Berliner SPD kritisiert, war ein Auftritt des früheren Regierenden Bürgermeisters Walter Momper am 3. Oktober bei einer PDS-Veranstaltung. PDS-Vordenker Andre Brie stellt bereits fest, beide Parteien würden in den neuen Ländern flächendeckend und zielgerecht auf eine Zusammenarbeit hinarbeiten.

Solche Worte können nur in Schröders Sinn sein. In den alten Bundesländern haben die Sozialdemokraten mit der PDS zwar nichts vor. Die Kommunisten setzen sich dort oft aus Alt-68ern zusammen, die, in der Theorie erstarrt, nicht parlamentsfähig sind. Dort läßt Schröder lieber mit den Grünen und der FDP koalieren. Aber in den neuen Ländern und in Berlin ist die Lage anders. Die seit zwei Jahren geräuschlos funktionierende rot-rote Koalition in Schwerin zeigt Schröder, daß sich aus diesem Modell etwas machen läßt.

Zunächst dürfte die SPD-Führung, aber auch die neugewählte PDS-Führung mit Gabi Zimmer an der Spitze, versuchen, aus dem "Magdeburger Modell" der Tolerierung eine Koalition zu machen. Zwar legt es die Magdeburger PDS ständig auf Konflikte mit der regierenden SPD an, doch die Gründe scheinen in persönlichen Animositäten und im Futterneid auf die mit Ministerprivilegien ausgestatteten Sozialdemokraten zu liegen. Vom PDS-Parteitag in Cottbus kamen bereits erste Signale: Wenn die SPD ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik ändere, seien Koalitionen möglich, befand Gabi Zimmer.

Schröder ist längst klar, daß er die PDS zur Stabilisierung der Macht gut gebrauchen kann. In den alten Bundesländern ist nicht auszuschließen, daß in den nächsten Jahren die eine oder andere rot-grüne Koalition, etwa in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, zerbricht. Danach folgende Bündnisse mit der CDU oder FDP erleichtern das Regieren in Berlin nicht, vor allem nicht mit Blick auf den Bundesrat, wo es Schröder heute bereits an Mehrheiten mangelt. Und die Zustimmung, die der Kanzler bei der PDS für ein Mittagessen am Gendarmenmarkt bekommt, muß er sich bei Union und FDP teuer erkaufen.

Was liegt also näher, als auf die ganz rote Karte zu setzen? Sachsen-Anhalt ist auf Dauer nur mit einer rot-roten Koalition zu halten. In Berlin, wo sich die SPD in einer Großen Koalition mit der CDU quält, könnte ein Bündnis mit der PDS für sozialdemokratische Erleichterung sorgen. In Thüringen und Sachsen, wo die SPD bei den letzten Landtagswahlen hinter die PDS rutschte, bietet nur die rot-rote Option die Chance auf Ablösung der Erben Vogels und Biedenkopfs.

Auch im Bund will sich Schröder keine der Möglichkeiten nehmen lassen. Angesichts seines zerstörerischen Kurses gegenüber den Grünen kann er nicht sicher sein, daß die Grünen 2002 den Sprung über fünf Prozent noch einmal schaffen. Falls doch, besteht immer das Risiko, daß die Grünen nicht auf Joschka Fischer hören und freiwillig in die Opposition gehen könnten. Bündnisse mit den Christdemokraten und Liberalen, beide dazu sicher gerne bereit, sind nicht einfach. Es bleibt also die PDS, wenn nicht 2002, dann spätestens 2006.

Schröder, der gnadenlose Taktiker, hat aber dabei übersehen, daß jede Öffnung nach links die Sozialdemokratie bisher geschwächt hat. Seit dem Aufkommen der Grünen sind absolute Mehrheiten für die SPD selten geworden. Und auch die PDS wird am Rand des SPD-Wählerstamms zu nagen wissen. Die Geister, die Schröder gerade beschwört, dürfte er kaum wieder loswerden.


 
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