© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
PRO&CONTRA
Rechtschreibreform kippen?
Manred Riebe / Prof. Dr. Gerhard Stickel

Die Sprache gehört dem Volk!" Das beschloß am 26. März 1998 der Deutsche Bundestag. Doch die Politiker respektierten den Beschluß der Volksvertretung nicht und setzten die sogenannte Rechtschreibreform auf dem Erlaßwege durch. Die große Mehrheit der Bürger lehnt jedoch die Reform ab. Das haben der Volksentscheid in Schleswig-Holstein und zahlreiche repräsentative Meinungsumfragen ergeben. Daher fehlt die vom Bundesverfassungsgericht unterstellte Akzeptanz. Die Reform erweist sich als schwere Belastung für unsere Demokratie.

Im August 1999 stellten die meisten Zeitungen auf den Neuschrieb um, ohne ihre Leser zu fragen. Wegen der ihnen aufgezwungenen Presseorthographie, die zu einer fehlerträchtigen Beliebigkeitsschreibung degeneriert ist, herrscht in manchen Redaktionen dicke Luft. Nur die Frankfurter Allgemeine war so mutig, nach einem Jahr der Erprobung zur herkömmlichen Schreibweise zurückzukehren. Die FAZ steht dennoch keineswegs allein, denn etliche Zeitungen und viele Zeitschriften sind bei der altbewährten Schreibweise geblieben. Zahlreiche Politiker schreiben privat weiter wie bisher, lassen jedoch amtliche Schreiben in neuer Schreibweise verfassen. Das ist die reinste Schizophrenie! Die von den Nachrichtenagenturen ersonnene Schreibung weicht von der amtlichen Regelung in vielen Punkten ab, und einige Zeitungen haben wieder andere Hausorthographien eingeführt. Dieses Durcheinander würde durch eine "Reform der Reform" nur noch größer werden. Das zeigt die vor wenigen Wochen erschienene Neuausgabe des Duden mit ihren absurden Einzelfestlegungen ("erfolgversprechend", aber "Not leidend"). Der "Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V." (VRS) fordert daher eine völlige Rücknahme der Rechtschreibreform. Nur so kann die Einheitlichkeit der deutschen Orthographie wiederhergestellt und dauerhafter Schaden von der deutschen Sprache abgewendet werden.

 

Manred Riebe ist Vorsitzender des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS) in Schwaig bei Nürnberg

 

 

Seitdem Die Welt durch Fehlmeldungen und die Frankfurter Allgemeine durch ihre hastige Rückkehr zur alten Rechtschreibung eine erneute öffentliche Diskussion der seit 1998 geltenden Schul- und Behördenrechtschreibung entfacht haben, appelliert das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim an Schulen und Medien, die sich für die neue Rechtschreibung entschieden haben, sich von dem aktuellen orthographischen Sommertheater nicht beirren zu lassen. Bisher haben sich nur die alten Gegner zu Wort gemeldet, also die Personen und Organisationen, die die Reform schon vor Jahren verhindern wollten. Sachliche Kritik sollte, wenn sie aus konkreten Erfahrungen mit der neuen Rechtschreibung gewonnen wird, der zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission übermittelt werden. Falls sich Einzelheiten der neuen Rechtschreibung als korrekturbedürftig erweisen, wird es zu diesen Korrekturen nach Ablauf der Übergangsfrist kommen, wie die neue Rechtschreibung ohnehin entsprechend der allgemeinen Sprachentwicklung fortzuentwickeln ist. Das sollte aber mit Bedacht geschehen, nicht in kurzatmiger Erregung.

Schon die von 1902 bis 1996 geltende deutsche Rechtschreibung wurde von manchen Schriftstellern und auch von Kaiser Wilhelm II. lange Zeit nicht akzeptiert. Die konservativen Kritiker wollten alte Schreibungen wie thun und Thür (statt tun und Tür) beibehalten. Ob 1902 oder 1996, die neuen Rechtschreibregeln sind wie die alten nur für Schulen und Behörden verbindlich, wobei eine möglichst einheitliche Schreibung auch außerhalb wünschenswert ist. Unsicherheit besteht außerdem über die Zukunft des Deutschen in einem hoffentlich auch künftig mehrsprachigen Europa. Eine intensive öffentliche Diskussion dieser Themen wäre der Sprachkultur in Deutschland zuträglicher als die ermüdende Diskussion darüber, mit wie vielen "f" Schiffahrt zu schreiben ist.

 

Prof. Dr. Gerhard Stickel ist Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim


 
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