© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Der lammfromme Wolf
Die PDS dient sich der SPD als Mehrheitsbeschafferin an
Michael Wiesberg

Während die aufrechten Demokraten in Deutschland den "Aufstand der Anständigen" gegen Rechts proben, vollzieht sich im linken Spektrum der Parteienlandschaft eine folgenschwere Koordinatenverschiebung. Die ohnehin immer nur halbherzig betriebene Abgrenzung der SPD von der PDS scheint endgültig der Vergangenheit anzugehören. Ganz Parteistratege, weiß PDS-Geschäftsführer Dietmar Bartsch diesen Wandel durch Annäherung zu kommentieren: "Für den Kanzler ist das auch eine machtpolitische Frage." Warum, sagt Bartsch auch gleich dazu: "Ein Druckpotential PDS ist gegenüber Grünen, FPD und Union immer hilfreich." Der Parteivorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn, gibt sich äußerlich noch gelassen. Die Grünen würden aber genau hinschauen, "was sich da tut". Dabei ist bereits jetzt offensichtlich, was sich "da tut". In entwaffnender Offenheit hat dies die Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Luc Jochimsen, im Deutschlandradio am 16. Oktober auf den Punkt gebracht: "Ich halte es für höchste Zeit, daß sich in der Bundesrepublik eine Partei links von der SPD etabliert. Und zwar in der gesamten Bundesrepublik, nicht nur in den sogenannten Neuen Ländern. (…) Insofern plädiere ich für eine politische Öffnung nach links und Einbeziehung von links als Gewinnung von Normalität."

Die PDS hat auf ihrem Parteitag in Cottbus keinen Hehl daraus gemacht, was sie unter "Normalität" versteht. In der einstimmig beschlossenen Resolution "Die PDS und der Antifaschismus" heißt es: "Antifaschismus soll im beginnenden 21. Jahrhundert eine breite demokratische Bürger- und Menschenrechtsbewegung sein, die sich erneuten verhängnisvollen Erscheinungen entgegenstellt." Was hier gemeint ist, verdeutlicht folgende Passage: "Neonazismus, rechte Gewalt, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind stets wesentliche und mehr oder weniger legale (!) Bestandteile des politischen System der Bundesrepublik gewesen." Einmal mehr greift die PDS hier in ihrer Argumentation auf den wegen seiner Dehnbarkeit so beliebten Begriff "Antifaschismus" zurück, den zum Beispiel der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg zum "zentralen Agitationsfeld von Linksextremisten" zählt. Dieser Begriff erlaubt, "auch ’bürgerliche Kreise‘ auf scheinbar unverdächtige Weise für dieses Thema zu gewinnen" und für weitergehende Ziele einzuspannen. Entsprechend wird in der Resolution gefordert: Die PDS "unterstützt alle Anstrengungen zur Herstellung breiter Bündnisse auf allen Ebenen, in denen ohne Führungsanspruch und Ausgrenzung sowohl die Gewerkschaften, die Vertreter der Jugendverbände und Kirchen, der demokratischen Parteien, aller Organisationen und Initiativen Platz finden, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus verpflichtet fühlen". Auf diese Art versucht die PDS, den "Antifaschismus" als Legitimationsideologie der untergegangenen DDR als Integrationsideologie der "pluralistischen" Linken in Deutschland wiederzubeleben. Dieser "Antifaschismus" richtet sich aber vor allem gegen "faschistische" Tendenzen in Staat und Gesellschaft. So steht in dem PDS-Ersetzungsantrag zu Antrag G.7. zu lesen: "Rechtsextremismus ist auch eine reaktionäre Reaktion auf die kapitalistische Globalisierung mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen." Das ist die alte marxistische These, daß alle politischen Systeme, die durch den Gegensatz von Arbeit und Kapital bestimmt werden, potentiell "faschistisch" seien. So ist es nur folgerichtig, wenn der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter (PDS), in einem Interview mit dem ZDF-Magazin "Frontal" am 3. November 1998 feststellte: "Ich mache ja keinen Hehl daraus, daß wir eine andere Gesellschaftsordnung wollen, und das ist unter diesem Begriff zu verstehen. Das heißt aber nicht, daß wir morgen mit Waffengewalt hier Veränderungen erreichen wollen, sondern es geht darum, systematisch über demokratische Mittel Veränderungen zu erreichen."

Vor diesem Hintergrund muß der Leitantrag "Den Politikwechsel nachholen! Deutschland braucht mehr sozialistische Politik! Die PDS und die Wahlen 2002" gelesen werden, der von der jetzigen Bundesvorsitzenden Gabi Zimmer mit Unterstützung des Parteivorstandes eingebracht wurde. Wer den Antrag genau liest, findet sehr schnell "ungefilterte" marxistische Anschauungen: "Die großen Vermögen in diesem Land sind das Hätschelkind auch sozialdemokratisch-grüner Politik. Sie sind nicht das Ergebnis eigener Arbeit, sondern immer mehr das Resultat staatlicher Enteignung der Arbeitenden und der sozial Unterprivilegierten (!) sowie der staatlich geförderten internationalen Devisen- und Aktienspekulationen. Diese großen Vermögen dürfen verteilungspolitisch nicht länger ein Tabu sein." Von hier bis zur Formel "Enteignet die Enteigner" ist dann nur noch ein kleiner Schritt. An diesem Leitantrag läßt sich feststellen, daß der angebliche Streit zwischen "Reformern" und "Radikalen" keineswegs ein Streit zwischen "Demokraten" und "Extremisten" ist, sondern ein Streit darum, welcher Weg am erfolgversprechendsten zum gemeinsamen Ziel, der Systemüberwindung, führt.

Die von den Linksparteien SPD und Grüne und ihren medialen Einflüsterern immer wieder vorgetragene Bereitschaft zur "Normalisierung des Verhältnisses zur PDS" übergeht nicht nur die offenkundige Verfassungsfeindlichkeit der PDS, sondern kommt einer definitiven Aufkündigung des "antitotalitären Konsenses" gleich.


 
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