© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Reform unter Verdacht
von Moritz Schwarz

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der in Deutschland inflationär geäußerte Faschismus-Verdacht auch die Diskussion um die Rechtschreibreform erreicht haben würde. Nun ist es soweit.

"Münchner Appell für die Einheit der Schriftsprache" nennt sich der jüngste Coup der hochkarätig besetzten "Initiative für eine vernünftige Rechtschreibung". Dieser Appell zieht eine einschlägige Parallele: Bei "der Rechtschreibreform" handle es sich um einen "obrigkeitsstaatlichen Eingriff, wie es ihn bisher nur in der NS-Zeit gegeben" habe. Damit war, wie es die Konfliktforschung ausdrücken würde, eine neue "Eskalationsstufe" erreicht. Das bayerische Kultusministerium wies den Vergleich natürlich umgehend zurück. Doch die Reformgegner weiteten ihren Vorwurf gar noch aus: Die heutige Reform weise "bis ins Detail hinein große Ähnlichkeiten" mit dem Reformversuch der Nationalsozialisten von 1941 auf.

Damit aber haben die Gegner der neuen Rechtschreibung nun wohl doch über die Stränge geschlagen. Denn die Ähnlichkeit der Reformen liegt darin begründet, daß sie das gleiche praktische Ziel verfolgten, nämlich die Simplifizierung der Schriftsprache, nicht aber – auch wenn beiden ein verwandter kulturbolschewistischer Impetus zugrunde liegt – in einer politischen Verwandtschaft. Ebenso verhält es sich mit dem ursprünglichen Vorwurf der NS-gleichen Obrigkeitsstaatswillkür. Der selbstherrliche Eingriff der Kultusminister ist eben obrigkeitsstaatlich – und damit verwerflich, nicht aber nazistisch.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen