© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Big Brother: In der neuen Staffel wird tüchtig auf die Tube gedrückt
Zivilgesellschaft unter Aufsicht
Ronald Gläser

Seit vier Wochen beschäftigen nun wieder die Bewohner eines Containers in Hürth bei Köln die nationale Boulevardpresse: Big Brother ist wieder da. Seit die erste Staffel im Frühjahr alle Erwartungen übertroffen hat, reißen sich die Fernsehsender um ähnliche Sendeformate. Je banaler, desto besser.

Weil sich der Erfolg von Sendungen wie Big Brother nicht beliebig wiederholen läßt, ist alles ein wenig dramatisiert worden. Die Bedingungen sind schwieriger geworden, so wurden zum Beispiel die Lebensmittel nachhaltig reduziert. Die Auswahl der Teilnehmer wurde verschärft: statt des Balkanlümmels Zlatko jetzt eine Türkin, statt der exotischen Andrea jetzt ein richtiger Schwarzer, und endlich auch ein richtiger Homosexueller. So glaubt man bei RTL2 offenbar, einen Querschnitt durch die hiesige Bevölkerung hergestellt zu haben.

So wie jeder einfache Soldat den Marschallstab im Tornister trägt, so ist auch in jedem von uns ein Star verborgen. Das ist die Botschaft, die die privaten Fernsehanstalten transportieren möchten. Nach dem Rummel um den arbeitslosen Mazedonier Zlatko steht jetzt Christian im Zentrum des Interesses. Christian ist Polizeibeamter Marke "Ruhrpott-Rambo". Der Macho bezeichnet sich selbst als den "Nominator", weil die Hausinsassen alle zwei Wochen mindestens zwei Kandidaten nominieren und damit zum Abschuß durch die Zuschauer freigeben.

Bisher haben seine Mitinhaftierten immer ihn nominiert. Kein Wunder, der 28jährige macht sich bewußt zum Außenseiter. Er redet kaum mit seinen Konkurrenten um die Siegerprämie in Höhe von einer Viertelmillion Mark. Diese werden vom "Nominator" möglichst ignoriert oder beschimpft. "Arschnase", "Miststück" oder "verlogene Kuh" sind da noch recht harmlose Schmähbegriffe.

Dafür ist der Beliebtheitsgrad des Einzelgängers bei den Zuschauern enorm angewachsen. Solange ihm das Publikum gewogen ist, muß er sich mit den anderen Kandidaten auch nicht arrangieren. Christians Erfolg liegt darin, daß er niemandem etwas vorheuchelt, sondern seine Botschaft an den Mitspielern vorbei gleich an die Zuschauer sendet, während sich, laut Christian, "alle anderen zuschleimen". Er kommuniziert direkt mit dem Publikum und spricht teilweise ohne Umwege in die Kamera. Der Erfolg bei den Zuschauern gibt ihm bislang recht. Stunden, nachdem er den Begriff "Nominator" erfunden hatte, waren alle entsprechenden Internetdomains wie www.nominator.de  oder www.der-nominator.de  vergriffen.

Das genaue Gegenteil von Christian ist Steffi. Die Big Brother-Karriere der Ärztin wäre beinahe schon vor dem Einzug in den selbstgewählten TV-Knast wieder vorbei gewesen, weil sie sich entgegen den Absprachen mit den Produzenten von Endemol vorzeitig an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Die 33jährige legt ein vorbildliches Mutter-Theresa-Gehabe an den Tag. Den homosexuellen Jörg versorgt sie liebevoll mit Zigaretten. Wähnt sie sich unbeobachtet, wird ohne Ende intrigiert.

Sofort werden alle Register der Psychoanalyse gezogen: Ein Boulevardmagazin präsentiert einen Psychologen, um Steffis Verhalten zu analysieren. Auf einem anderen Sender erklärt John, der Sieger der letzten Big Brother-Staffel: "Das ist ein ganz mieses Spiel, das Steffi da treibt." Moderator Kai Pflaume verkündet unter dem Jubel der Zuschauer in einem RTL-Studio, Steffi verfüge über einen hohen "Ätzfaktor". Schließlich gibt die eigene Schwester von Fräulein Doktor ein Interview, in dem sie ausführt, warum Steffi jetzt rausfliegen dürfte. Moderne Hexenverbrennung. An diesem Wochenende haben die Zuschauer die Wahl: Steffi oder Christian. Vermutlich wird es dann ab Montag wieder heißen "Tupfer bitte".

Politische Indoktrination findet bei Big Brother, von der Zusammensetzung der Teilnehmer einmal abgesehen, nur am Rande statt. Walter, der Medizinstudent aus Klagenfurt, nutzte einmal die Gelegenheit, sich über die Verhältnisse in seinem Land im allgemeinen und über die FPÖ in besonderen zu mokieren. Niemand wollte seine Gutmenschenattacke hören. Als selbst der Schwarze Karim abwiegelte, war das Thema gestorben. Christian tituliert den langsamen Alpencasanova nur noch als "Prinz Walter Valium".

Die Mischung aus Banalität, Intrigen und Sex lockten die TV-Konsumenten reihenweise vor die Schirme. Die Einschaltquote lag zuletzt knapp unter 30 Prozent. Das RTL- Konglomerat schürt das Zuschauerinteresse mit weiteren Gesprächsrunden und Gewinnspielen weiter. Und die werden wieder von anderen Stars wie Jenny Elvers moderiert. Jenny Elvers erwartet ja angeblich auch ein Kind von Alex, einem der Teilnehmer der letzten Big Brother-Serie. Wozu soll das nur führen, wenn immer mehr Stars die Fernseh-Container verlassen und sich sogar noch untereinander vermehren? Das gemeinsame Kind von Alex und Jenny kann doch auch nur ein Star werden. Aus dem Spaßstandort wird der Starstandort Deutschland.  Weitere Informationen zur Sendung im Internet unter http://www.bigbrother.de


 
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