© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
An die Börse
Die nächste Schulreform steht im Zeichen des Globalismus
Angelika Willig

Das Thema Bildung ist groß im Kommen. Die Regierung will es in den Vordergrund der zweiten Legislatur-Hälfte rücken. Manche rufen schon wieder wie in den sechziger Jahren den Bildungsnotstand aus. Aber nicht, weil es zu wenig Abiturienten gibt, sondern weil die Abiturienten zu wenig wissen. Zu wenig von alten Werten, meinen die einen, zu wenig von neuen Techniken, sagen die anderen. Wer mit der Schule nichts mehr zu tun hat, kann in der Woche einen Praxisbericht des Oberstudiendirektors Wolfgang Harnischfeger vom Berliner Beethoven-Gymnasium nachlesen. Er beginnt überraschend mit einer gut geplanten, gut gelungenen Geschichtsstunde am Freitag und endet tragisch mit einer Geschichtsstunde in derselben Klasse am darauffolgenden Montag: "Es ist so, als ob die letzte Stunde nicht stattgefunden hätte." Mit anderen Worten: Es ist nichts hängengeblieben. Die Erklärung ist einfach: "Es fehlt vielen heutigen Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit und der Wille, sich den Stoff individuell anzueignen, das heißt, ihn zu Hause im Buch noch einmal zu lesen und sich die zentralen Elemente einzuprägen." Und der Pädagoge kennt auch den Grund: "Sie wollen unsere Abschlüsse, aber nicht unsere Inhalte."

Das klingt furchtbar, war aber eigentlich schon immer so. "Einmal Nasebohren gibt zehn Verse Homer – und das nennt sich dann humanistische Bildung", spottete schon der "Simplizissimus". Das ist hundert Jahre her. Inzwischen hat auch der letzte Nasebohrer den Schwindel durchschaut. Schließlich sind auch der Arbeitnehmer und der Selbständige nicht primär an den Produkten, sondern am damit zu erzielenden Gewinn bzw. Verdienst interesssiert. Und kann der Schulabschluß in einigen Fällen als Profit-Äquivalent gelten, nämlich bei jenen Schülern, die später Zahnarzt oder Rechtsanwalt werden wollen, blicken andere auf einen Bill Gates oder Joschka Fischer, die auch ganz ohne Abitur ihren Weg machten.

Immer noch wird nach der optimalen Lehrmethode gesucht, werden neue Lernmittel entwickelt und für teures Geld angeschafft, manchmal sogar im Unterricht verwendet, im Bildungsressort wird angestrengt nachgedacht, wie in den nächsten Jahren jeder Schüler mit einem eigenen Laptop ausgestattet werden kann. Doch nicht Ausstattung oder Methoden sind veraltet und schuld an der Interesselosigkeit der Schüler, sondern obsolet ist der ganze Status der Schule als höhere Bildungseinrichtung (bei den Konservativen) oder gesellschaftliches Experimentierfeld (bei den Progressiven). Es wird Zeit, die Schule ganz ideologiefrei als ein Wirtschaftsunternehmen zu begreifen und den Kindern von vornherein klarzumachen, daß der Unterricht ein Job wie jeder andere und entsprechend ernst zu nehmen ist. Das Geld für pädagogische Experimente sollte lieber in ein anständiges Schüler-Gehalt investiert werden. Statt von "Bildung als großem Selbstversuch" zu faseln und den "Umbau der Schule" zu fordern, sollten von jeder Schule Aktien ausgegeben werden, die je nach Erfolg der Schüler steigen oder fallen. Das Tabu der Kinderarbeit ist eines der letzten, an die man sich grundlos klammert. In einer Umgebung, die sich einzig am Geld orientiert, kann von Minderjährigen keine unbezahlte Arbeit verlangt werden.

"Fatal" nennen es Erwachsene, "dem Ansinnen von Arbeitgebervertretern nachzugeben", die nur an "funktionierenden Arbeitskräften" interessiert seien. Mit diesen sentimentalen Bedenken wird man in der Debatte nicht weiterkommen. Fatal, weil vergeblich ist es vielmehr zu erwarten, daß irgend jemand sich aus reinem Spaß an der Freud schwierige und abstrakte Inhalte aneignet. Arbeit macht eben überwiegend keinen Spaß, und darum muß sie bezahlt werden – es sei denn, man übt auf das Individuum autoritären Zwang aus, und das wollen wir doch alle nicht.

Manche halten den Computer für eine Geheimwaffe: "Besonders Jungen entwickeln hier ein Beharrungsvermögen, das sie stundenlang vor dem Gerät hält." Woran liegt’s? Daran, daß Software-Produzenten in harter (und gut bezahlter) Arbeit Möglichkeiten ersinnen, wie man am Computer jede Menge Spaß haben kann, ohne sich groß anzustrengen. Und ohne auf die Dauer das Geringste zu lernen. Wer wirklich mit dem Computer arbeiten will, braucht Mathematik, und das ist nicht umsonst eines der unbeliebtesten und gefürchtesten Fächer. Das sogenannte Surfen ist nichts weiter als ein Zappen mit unendlichen Programmen und kostet Geld, ohne irgend etwas einzubringen. Außer Rechnungen für unterwegs in den virtuellen Warenkorb geladenes Spielzeug.

Keine Phantasie und keine Investition in Sachen Bildung ändert etwas daran, daß Lernen Arbeit ist und Arbeit in unserem Gesellschaftssystem entlohnt werden muß. Ohne Fleiß kein Preis und umgekehrt: ohne Preis keine Leistung. Bevor nicht die Schule restlos durchkommerzialisiert ist und der beste Schüler auch das höchste Gehalt einstreicht, wird sich an der Situation nichts ändern. Noch vor jedem Unterricht lernen die Kinder wie die kleinen Affen vom Zusehen und von Vorbildern. Und was sehen sie bei allen Großen in der Familie und am Fernsehen? Daß Menschen nur etwas tun, wenn sie dafür bezahlt werden. Oder wenn sie ideologisch verblendet sind. Und sind Kinder etwa keine Menschen?

Kein Wunder, daß immer mehr Kinder aggressiv oder verhaltensgestört werden, wenn sie die einzigen sind, die vom großen Spiel ums große Geld ausgeschlossen werden. Und daß sie da nicht hinwollen, wo es nichts zu holen gibt, beweist nur, daß die Jugend begriffen hat, worauf es ankommt. Jetzt müssen nur noch die Verantwortlichen nachziehen.


 
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