© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Pankraz,
S. Hawking und der Untergang der Menschheit

Na, wenn schon", war die Reaktion auch in empfindsamen Kreisen, als neulich Stephen Hawking, immerhin weltbekannter Wissenschaftler und erfolgreicher Prognostiker, den "wahrscheinlichen Untergang der Menschheit schon in den nächsten Jahrhunderten" voraussagte. Man blieb gelassen bis in die Haarspitzen. Sicher, das Ozonloch wird immer größer, und vielleicht fällt die Menschheit eines Tages tatsächlich hinein. Doch was geht uns Heutige eigentlich "die Menschheit" an? Für uns und unsere Enkel reicht die Decke allemal noch.

Manche Ökologen und verbissenen Naturfreunde hörten die Botschaft sogar mit Genugtuung, weil Hawking ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß der Untergang der Menschheit nicht dasselbe sei wie der Untergang der belebten Natur im Ganzen. Diese Natur, versicherte der berühmte Physiker, sei sehr viel strapazierfähiger als die Menschheit. Das leuchtete ein, wissen wir doch aus vielen Naturfilmen, daß es das Leben fertigbringt, selbst in schlimmsten Wüsten, in denen sich kein Mensch auf Dauer halten kann, zu "überwintern" und sich fortzupflanzen.

Jeder kennt die Bilder von Pflanzensamen, Fischen, Kröten, die sich angesichts der Trockenheit eingraben und regelrecht für die Ewigkeit verpuppen – um eines fernen Tages, wenn doch einmal Regen fällt, explosionsartig wieder hervorzutreten und in kürzester Zeit sowohl Ressourcen-Wiederherstellung als auch Nachkommenaufzucht zu erledigen. Das sind Biotechniken, von denen unsere Laborwissenschaftler noch äonenweit entfernt sind und die sie wohl nie erlernen werden.

Die Natur verhält sich nicht ethisch, das garantiert ihr den großen Vorsprung. Sie beseitigt erbarmungslos Bildungen, die sich zwar nicht anpassen können, aber natürlich auch nicht freiwillig abtreten wollen und dadurch zu bloßen Störfaktoren der Entwicklung werden. Auch der technische Mensch, wenn er sich denn als ein solcher unverbesserlicher Stör- und Verwüstungsfaktor erweisen sollte, würde erbarmungslos eliminiert.

Es ist viel, viel wahrscheinlicher, daß die Natur den Menschen auslöschen wird, bevor dieser dazu kommt, die lebendige Natur auszulöschen. Er wird keine Gelegenheit bekommen, die Erde in eine bloße Müllhalde aus nicht recyclebaren Plastikmassen und kaputten, unentsorgten Computern zu verwandeln.

Hier irrt Hawking also wohl. Die Menschheit wird nicht die Zeit finden, seiner Empfehlung zu folgen und, nach erfolgter Naturpleite, auf andere Gestirne auszuwandern. Die Natur wird vorher zuschlagen. Seuchen im Stile der großen europäischen Pest von 1346 sind denkbar, gegen die es kein Impfserum geben wird, tödliche genetische Kontaminierungen, rapide Klimaveränderungen von den Dimensionen der großen Eiszeiten.

John Cairns, amerikanischer Biologe und Naturphilosoph, hat vor einigen Jahren einmal in der Zeitschrift Science ein Szenario entworfen, was passieren würde, wenn die Menschheit durch eine hausgemachte Katastrophe zur Gänze weggeräumt würde. Diese Erzählung war hochinteressant und auch irgendwie beruhigend, selbst für Nichtökologen.

Zuerst, schrieb Cairns, werden sich die neugierigen Gänse und Enten in die leeren Häuser vorwagen, um nachzusehen, was denn passiert sei; es folgen Eichhörnchen, Singvögel, Kaninchen. Füchse und Koyoten plündern Lebensmittellager, stürzen Mülltonnen um, raufen sich mit den Waschbären um die besten Überreste.

Schon zwei Jahre später haben Gräser den Asphalt der Autobahnen und der anderen Straßen flächendeckend gesprengt, nach vier Jahren fangen Bäume an, auf Hochhäusern zu wachsen. Es geschieht eine Explosion der Pflanzen, was nach etwa zwanzig Jahren zu einem Kälteschock führt: also weniger CO2 in der Luft, mehr Wasser in der Atmosphäre. Gewaltige Sturmfluten entstehen, die beispielsweise den Broadway in New York in einen reißenden Fluß verwandeln.

Jene Tiere, die vom Menschen abhängig geworden sind und ihn ihrerseits ausgebeutet haben, fangen schnell an, auszusterben, also Ratten, Mäuse, Kakerlaken, Bettmilben – während sich Schafe, Schweine, Rinder und Hunde wieder in ihre ursprünglichen Wildformen zurückverwandeln. Spätestens in tausend Jahren, meint Cairns, sei kaum noch etwas von der menschlichen Zivilisation übrig.

Sämtliche Städte haben sich dann in von undurchdringlichem Dickicht überwucherte Felslandschaften verwandelt. Auf der Nordhalbkugel haben sich riesige Prärien ausgebreitet, die wieder – wie in alten Siouxzeiten – von ungeheuren Bisonherden durchzogen werden. Cairns nennt das "die Rückkehr des Paradieses".

Das ist natürlich ein apokalyptisch-ästhetischer Menschenstandpunkt. Ob es die Natur, das Leben, in diesem "Paradies" aushalten würde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wenn dem Leben, wie Hans Jonas und andere moderne Teleologen vermuten, eine Tendenz zu "Höherem", zu Selbstreferenz und geistiger Verdoppelung der Welt, innewohnt, dann würde es auch wieder zur Bildung von Menschheit, von Logos und neuer Kultur kommen.

Es wäre wie in der "Edda", wo ja nach erfolgter Götterdämmerung und dem Abtritt der schuldig gewordenen Menschheit ebenfalls nicht alles aus ist. Von ganz tief unten, aus dem Wurzelwerk der Weltesche, tönt ein wehmütiger Gesang, mehr ein Wimmern: Es sind die "Mütter", die überlebt haben und, nach gebührender Sperrfrist, per Parthenogenese eine neue Menschheit gebären werden.

Ob und wie diese neue Menschheit es anders machen würde, sagt die "Edda" nicht, niemand vermag es zu sagen. Pankraz vermutet allerdings, daß alles beim Alten bleiben würde. Wäre das ein Trost? Auf jeden Fall hätte jeder, der sich dadurch getröstet fühlte, es sich selber zuzuschreiben.


 
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