© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Kroatische Generäle protestieren
Carl Gustaf Ströhm

Die moderne Medienwelt beschäftigt sich mit vordergründigen Sensationen. Was sich unter der Oberfläche zusammenbraut, bleibt ihr verborgen, zumindest solange, bis es zu einer sicht- und hörbaren Eruption kommt. Während das weltweite Interesse sich auf die jüngsten Haßausbrüche zwischen Israel und den Palästinensern und auf die Revolution in Serbien konzentriert, bleiben tiefgreifende Entwicklungen in Kroatien so gut wie unbemerkt. Seit dem Machtwechsel vom 3. Januar ist dort die Koalition aus "gewendeten" Kommunisten und Liberalen mit wachsenden sozialen Spannungen konfrontiert. Die Zagreber Linkskoalition, welche die Tudjman-Ära mit weitgreifenden personellen "Säuberungen" beendete (35 kroatische Botschafter wurden vor die Tür gesetzt, was einer Enthauptung der kroatischen Diplomatie gleichkommt), konnte bis jetzt keine ihrer Wahlversprechen einlösen.

Zugleich ist es zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen der Staatsführung und den Spitzen der kroatischen Armee gekommen. Zwölf Generäle des kroatischen Heeres protestierten in einem offenen Brief gegen die Herabwürdigung und "Kriminalisierung" des "Vaterländischen Krieges". Sie beschuldigten gewisse Medien, aber auch Politiker der jetzt regierenden Koalition, "alles Positive und Große zu verschweigen, an welchem die besten Söhne Kroatiens in ihrer überwältigenden Mehrheit beteiligt waren". Im Zusammenhang mit der Verhaftung einiger kroatischer Offiziere, die offenbar an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert werden sollen, sprachen die Generäle von "unnötigen Machtdemonstrationen" und von "Vorverurteilungen". Es gelte, die "Ehre und Würde" des kroatischen Soldaten zu verteidigen.

Staatspräsident Mesic reagierte, indem er jene sieben Unterzeichner, die sich im aktiven Dienst befanden, sofort in den Ruhestand versetzen ließ. Schon tauchten Gerüchte über einen Militärputsch auf – was die sieben aktiven und fünf bereits vorher im Ruhestand befindlichen Armeeführer energisch dementierten. Ihre Namensliste liest sich wie ein "Gotha" der kroatischen Generalität: vom seinerzeitigen Armeechef General Janko Bobetko bis zum Verteidiger und Retter Dubrovniks, Generalmajor Nojko Marinovic. Einer der Unterzeichner, der inzwischen zwangspensionierte Admiral Davor Domazet – der als einer der fähigsten militärischen Denker der jungen kroatischen Armee gilt –, erklärte, er und die anderen Generäle hätten reagieren müssen, weil die "nationalen Interessen" des Landes bedroht seien. Admiral Domazet – ehemals Chef des Generalstabes der Streitkräfte – wies darauf hin, daß in einflußreichen kroatischen Medien immer wieder behauptet werde, die kroatische Staatsidee sei mit der "Ustascha-Bewegung" des Zweiten Weltkrieges identisch. Diese These von der "Ustascha"-Belastung der Kroaten werde, so der Admiral, von Kreisen verbreitet, die mit dem "determinierten Chaos" spielten und die den Kroaten einen "endemischen Nationalismus" unterstellten. Domazet: "Nach dieser Theorie muß jeder kroatische Staat im Verbrechen enden. Am Ende könnte die Konsequenz nur lauten, daß man den Kroaten niemals mehr gestatten dürfe, einen eigenen Staat zu haben." Aus dem "determinierten Chaos" sei die kroatische Armee als Sieger im Verteidigungskrieg gegen die Serben hervorgegangen. Dieser "siegreiche Status" korrespondiere nicht mit gewissen Interessen in diesem Raum. Deshalb, so die Schlußfolgerung des Admirals, solle das alles (und das heißt wohl: die kroatische Unabhängigkeit) jetzt zunichte gemacht werden.


 
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