© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Freiheit statt Einheit
von Moritz Schwarz

Joschka Fischer gebührt Anerkennung für seinen mutigen Vorschlag, den deutschen Nationalfeiertag vom bürokratisch-aseptischen 3. Oktober auf den vibrierend-lebendigen 9. November zu verlegen.

Daß an diesem Tage, zweiundfünfzig Jahre zuvor, die "Reichskristallnacht" stattgefunden hatte, verhinderte vor zehn Jahren dessen Ernennung zum Nationalfeiertag der Deutschen. Angesichts der üblichen Verengung deutscher Geschichte auf die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur konnten selbst im Augenblick des Mauerfalls die verhärmten Seelen der bundesdeutschen Bedenkenträger sich nicht einfach über den 9. November als nun mal "von der Geschichte" ausgewählten Tag der deutschen Einheit freuen. Dabei hätte sich selbst unter dem gewichtigen Gesichtspunkt der undeutschen Judenhatz von 1938 der 9.November zum nationalen Feier- und Gedenktag geeignet. Tut doch der Schwur auf die Einheit der Nation gerade in Erinnerung an eine Zeit not, in der die Einheit des deutschen Volkes von zur Macht gelangten ideologischen Spaltern entzweigelogen wurde.

Doch so überzeugend Fischers Vorschlag eigentlich ist, gilt es doch dessen unterschwellige Motive zu bedenken. Im Zuge des Zeitgeist-Bemühens, die deutsche Einheit zu entnationalisieren, droht mit einem 9. November als Feiertag eine Umwertung dieses Tages: "Mauerfall" soll künftig in erster Linie mit "Freiheit", statt mit "Einheit" assoziiert werden. So will Fischer, bewußt oder unbewußt das ideologische Problem "deutsche Einheit" unbemerkt entsorgen.


 
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