© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Spätfolgen der Kulturrevolution
Dieter Stein

Die deutsche Öffentlichkeit reagiert in diesen Tagen besonders sensibel auf Anschläge, die sich gegen Einrichtungen jüdischer Gemeinden richten. Mehrfach wurden Scheiben eingeworfen, Wände beschmiert, Brandsätze auf Synagogen geworfen, wobei es glücklicherweise zu keinen schweren Schäden kam. Doch die Bilder brennender Synagogen sind im kollektiven Gedächtnis eingebrannt als Symbol der "Reichskristallnacht" vom 9. November 1938, die für die Entrechtung und Verfolgung jüdischer Deutscher steht.

Die Urheber für solche Schändungen von Gotteshäusern werden, noch bevor die Polizei die Ermittlungen aufgenommen hat, "rechtsextremen Kreisen" zugeordnet, der Vandalismus als Beleg einer Haltung genommen, die angeblich der "Mehrheitsgesellschaft" (Michel Friedman) entsprungen ist. Das zu sagen, ist verantwortungslos und droht erst einen Antisemitismus zu befeuern, den es in Deutschland nicht mehr gibt. Man scheint den Teufel solange an die Wand zu malen, bis er – spätestens als Trittbrettfahrer – tatsächlich erscheint. Im aufgeregten "Haltet den Dieb"-Geschrei hypermoralisierender Medien geht unter, wie oft in den letzten Tagen Palästinenser (Essen), unpolitische geistig Verwirrte (Freiburg) oder sogar betrunkene Linke (Berlin) für Zwischenfälle an Synagogen verantwortlich waren.

Der christliche ZDF-Fernsehjournalist Peter Hahne hat sich in diesen Tagen zu den jüngsten Anschlägen auf Synagogen und jüdische Einrichtungen in bemerkenswerter Weise geäußert. Seiner Meinung nach sind sie auf eine "zunehmende Gottlosigkeit in unserer Gesellschaft" zurückzuführen, "in der Biblisches dem Belieben und Göttliches dem Gespött preisgegeben wird". Wenn Gott im privaten und öffentlichen Leben weichen müsse und der Mensch die erste Stelle einnehme, seien Extremismus und Fanatismus die Folge, sagte Hahne bei der Fränkischen Glaubenskonferenz am 8. Oktober in Nürnberg, an der über 4.000 Besucher teilnahmen. Peter Hahne legt mit seiner Analyse den Finger in die Wunde unserer westlichen Gesellschaften. Gerade die atheistische Linke will es nicht hören, daß Verrohung, Gewaltverherrlichung, und Werteverfall etwas zu tun haben mit dem Einreißen von Traditionen, dem Schleifen von Fundamenten und der Verachtung einer Schöpfungsordnung, auf die sich beispielsweise auch unser Grundgesetz – noch! – beruft.

Vandalismus vor jüdischen Einrichtungen ist freilich eine Provokation, er ist aber kein gesellschaftlicher Sonderfall, zu dem er teilweise stilisiert wird, sondern Teilaspekt einer enthemmten Gesellschaft, in der auch christliche Friedhöfe geschändet, Denkmäler aller Art beschmiert, historische Gebäude besudelt werden.

In diesem Land ist, nicht zuletzt als Spätfolge der 68er Kulturrevolution, Respekt vor Religiosität und Gotteshäusern unter die Räder gekommen. Vielleicht sollte man darüber einmal sprechen, anstatt sich abstrakt über einen imaginären "Rechtsextremismus" zu empören.


 
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