© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Haie im Paradies
Gaylord T.M. Kelshall: U-Boot-Krieg in der Karibik 1942 bis 1945
Uwe Paysen

Hat der Zweite Weltkrieg die Karibik überhaupt erreicht? Allein Cineasten hegen daran keinen Zweifel. Denn in Howard Hawks’ Meisterwerk "To Have And Have Not" von 1944 erteilt Humphrey Bogart, unterstützt von der atemberaubenden Lauren Bacall, Vichy-Franzosen auf der Antilleninsel Martinique eine antifaschistische Lektion. Und da selbst eine Hollywood-übliche Schwarz-Weiß-Schablone mit etwas historischem Ambiente versehen werden mußte, macht der Film, der in der Originalversion noch heute mitternächtlich häufiger in Off-Kinos zu sehen ist, seine Zuschauer mit einem exotischen Kriegsschauplatz bekannt.

Für den Cineasten ist Gaylord T. M. Kelshalls Monographie über den U-Boot-Krieg in der Karibik also eine Art Buch zum Film. Auch wenn der nach einer Vorlage Ernest Hemingways arbeitende Drehbuchautor – kein geringerer als William Faulkner – 1944 noch nicht wußte, daß, wie Kelshall berichtet, Kapitänleutnant Werner Hartenstein mit U 156 im Februar 1942 Port de France auf Martinique anlief, um dort einen Verwundeten auszubooten. Eine Episode,die Faulkner sicher berücksichtigt hätte, um der von ihm nur schemenhaft angedeuteten deutsch-französischen Karibik-Kollaboration etwas schärfere Konturen zu geben.

Das von der Vichy-treuen Marine kontrollierte Martinique sowie Französisch-Guyana spielten in der geostrategischen Planung der USA als potentielle Brückenköpfe einer "Nazi"-Invasion Mittel- und letztlich Nordamerikas keine unwichtige Rolle. Die akute Gefährdung der US-amerikanischen Herrschaft über die Karibische See und damit für die Kontrolle über den "weichen Unterleib" der Vereinigten Staaten ergab sich aber Anfang 1942 viel weiter südlich, im Seegebiet zwischen der britischen Erdöl-Insel Trinidad und den 500 Meilen westlich davon gelegenen, zum holländischen Kolonialbesitz gehörenden Inseln Curacao und Aruba. Auf Aruba befand sich die damals weltgrößte Erdöl-Raffinerie. Die Raffinerien und Lagerstätten auf den holländischen Inseln waren errichtet worden, um das auf dem Festland geförderte Rohöl aus den notorischen innenpolitischen Turbulenzen Venezuelas "herauszuhalten" und es in "in ruhiger Umgebung" verarbeiten zu können. Von Curacao und Aruba brachten Tanker das Öl nach Europa. Daß damit von der Karibik nach England eine kriegswichtige Versorgungsader verlief, war der deutschen Seekriegsleitung sowenig entgangen wie die Abhängigkeit der US-Luftfahrtindustrie vom Bauxit in Guyana.Darum schuf der deutsche Befehlshaber der U-Boote, Admiral Karl Dönitz, Mitte Februar 1942 in diesem Seegebiet einen Schwerpunkt im ozeanischen Zufuhrkrieg.

Kelshall, ein 1940 auf Trinidad geborener Marineoffizier, der zeitweise die Hafen- und Flughafenbehörde der Insel leitete, hat mit seiner akribischen Rekonstruktion der Geschehnisse einen vergessenen Kriegsschauplatz ins historische Bewußtsein gerückt. Seine in der (manchmal etwas holprigen) deutschen Übersetzung gekürzte, aber immer noch eng bedruckte 320 Seiten umfassende, zuerst 1988 in Port of Spain erschienene Darstellung stützt sich auf unveröffentlichte Quellen, vor allem die Kriegstagebücher der US-Marine und dem Kriegstagebuch der Royal Navy für den Befehlsbereich Trinidad. Obwohl der Verfasser auch deutsche Quellen auswertete und von überlebenden U-Boot-Kommandanten wie Reinhard Hardegen (U 123), Herbert Schlipper (U 615) und Georg Lassen (U 160) beraten wurde, schildert er den zweijährigen Einsatz der "Haie im Paradies" überwiegend aus angelsächsischer Sicht. Darum, und für den deutschen Leser ist dies sicher das größte Manko des mit fast fünfzig (mitunter zu dunkel reproduzieten) Fotos, mit Karten und Tabellen so großzügig ausgestatteten Werkes: ein Buchheimsches Buch vom Alltag der U-Boot-Fahrer, ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Krieges hat Kelshall nicht geschrieben. Das erspart uns freilich auch die in den deutschen Darstellungen damit zumeist verquickten moralischen Belehrungen. Statt dessen entfaltet Kelshall buchhalterisch nüchtern das Panorama der deutschen Versenkungs- und der angelsächsischen Abwehrerfolge. Um am Ende, mit Blick auf die 400 torpedierten Handelsschiffe zu bilanzieren: "Die Karibik erwies sich als der attraktivste Kriegsschauplatz für die Deutschen."

Gaylord T. M. Kelshall: U-Boot-Krieg in der Karibik. Verlag E.S. Mittler, Hamburg–Berlin–Bonn 1999, 336 Seiten, Abb., 68 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen