© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Hauptsache Marlene
Deutsches Filmmuseum in Berlin eröffnet
Rolf Helfert

Eines kann man den Betreibern des "Filmmuseums Berlin – Deutsche Kinemathek" ohne weiteres zubilligen. Ihre Ausstellung paßt wie angegossen zur Architektur des heutigen Potsdamer Platzes. Beides wirkt sehr modern, aber auch etwas steril, insofern scheint Museumsleiter Hans Helmut Prinzler mit dem Sony-Center den idealen Ort gewählt zu haben.

Schon seit 1983 sollte am Potsdamer Platz, damals noch eine groteske Steppe im Schatten der Mauer, ein Filmmuseum gebaut werden. Doch erst Geldinjektionen des Berliner Senats in Höhe von 6,5 Millionen Mark und, mehr noch, der Kauf des Nachlasses von Marlene Dietrich durch die Stadtoberen, ermöglichten es, das Projekt nun endlich zu realisieren.

Gemessen am Rauschen im Blätterwald, das bereits einsetzte, als nur Prominente die Museumsräume betreten durften, fallen die Resultate eher durchschnittlich aus. Am Beginn sieht man in einem Spiegelkabinett zahlreiche große Monitore. Szenen deutscher Filme des 20. Jahrhunderts jagen über die Mattscheiben. Hier länger zu verweilen, ist schwierig, weil andere Besucher nachdrängen. Es folgt ein Gang durch die Geschichte des deutschen Films von seinen Anfängen 1895 bis zur Gegenwart.

Die frühesten deutschen Filme beinhalten Dokumentarisches. Eine Aufnahme des Jahres 1900 zeigt, wie deutsche Soldaten an Bord eines Schiffes gehen, das sie ins ferne China bringen soll. Obwohl dieser Film nur etwa 20 Sekunden dauert, gehört er zu den interessantesten Höhepunkten der gesamten Ausstellung. Es folgen Propagandastreifen aus dem Ersten Weltkrieg und andere Stummfilme, darunter immer wieder das hektische Berliner Straßenleben. An berühmte Schauspieler der frühen Zeit, beispielsweise Henny Porten und Asta Nielsen, erinnern persönliche Gegenstände, die ihnen einst gehörten. Auch namhafte Regisseure jener Aufbruchära, Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang oder Ernst Lubitsch, finden Erwähnung.

In den zwanziger Jahren entstanden die Klassiker "Caligari" und "Metropolis", welche die Ängste und Visionen damaliger Zeitgenossen thematisierten. Leider zerstückelt die Museumsleitung jeden Film – und hier liegt wohl die Hauptschwäche der Ausstellung – in kurze, ständig wiederholte Szenen, die wenig aussagen, aber auch nicht in größere Zusammenhänge integriert werden. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, relativ wenige Schlüsselfilme auszuwählen und diese intensiver zu bearbeiten. So jedoch blickt der Besucher in ein hundertfaches Szenengeschnipsel. Fast nichts erfährt man über verschiedene Kunstrichtungen und die Strukturen der Filmindustrie. Mehr Glitzer denn Glanz?

Analyse und Interpretation gibt es nur marginal. Im Zentrum aller Philosophie steht die Devise von Billy Wilder: "Boy meets girl", worin, glauben zumindest die Experten des Filmmuseums, "doch die Essenz des großen Kinos" zu erblicken sei. "Da löst sich eine Träne aus den Wimpern, und wir unterdrücken mühsam ein Schluchzen, da findet ein spöttischer Augenaufschlag ein Ziel, und wir wissen, hier bahnt sich etwas an ..." Zweifellos klingt dies gut, erscheint aber als Kernaussage etwas dürftig. Prinzler und seinem Team genügt es offenbar, "Gefühle" anzusprechen und eine – recht oberflächliche – Faszination für das Genre Film zu suggerieren. Zu hoffen bleibt, daß die Filmbibliothek, welche demnächst ebenfalls im Sonyhaus eröffnet wird, einige der Lücken füllt, welche die Ausstellung hinterläßt.

Da nun die glorreichen zwanziger Jahre durchschritten sind, nähern wir uns dem eigentlichen Herzstück des Filmmuseums. Marlene Dietrich, laut Tafeltext der "einzige deutsche Weltstar", ist weit mehr Raum gewidmet als dem gesamten deutschen Nachkriegsfilm! Eigentlich hat es der Besucher mit einer "Marlene-Dietrich-Ausstellung" zu tun. Ihr persönlicher Nachlaß, in Spandau gelagert, ist einer der größten, die existieren, er enthält unter anderem 350.000 Blatt Papier und wird archivarisch verwaltet. Teile dieser gigantischen Erbschaft sind nun am Potsdamer Platz zu sehen. Dazu gehören unzählige Fotos, Koffer, Telegramme, die berühmte "Pustekarte" aus dem "Blauen Engel", ein drolliger Schminkkoffer und nicht zuletzt jene amerikanische Militäruniform, die Marlene Dietrich trug, während sie 1943/45 US-Soldaten "betreute".

Warum Marlene Dietrich eine "Ikone des 20. Jahrhunderts" gewesen sein soll, wie im Ausstellungstext zu lesen ist, bleibt offen. Nur beiläufig streifen die Veranstalter auch Dietrichs politische Rolle. "Ich hasse nicht die Deutschen, ich hasse die Nazis", soll sie einer amerikanischen Zeitschift gegenüber erklärt haben. Bemerkungen von Marlene Dietrich, die auf anderes hindeuten, verschweigt man. An einer "Ikone" darf eben niemand kratzen! Stauffenberg und Treskow hätten in Marlene Dietrich vermutlich alles mögliche gesehen, nur keine "Widerstandskämpferin". "Einem berühmten Menschen verzeihen die Leute alles", sagte ihre Tochter Maria Riva, die das Museum vor dessen offizieller Eröffnung besichtigte.

Dem Film des Dritten Reiches sind die nächsten Räume gewidmet. Von Leni Riefenstahl über Luis Trenker bis zu "Kolberg" reicht ein Spektrum, das wiederum szenische Splitter, ebenso einige Dokumente enthält, darunter den Brief eines SA-Funktionärs, der sich darüber beschwert, daß Heinz Rühmann mit einer Jüdin verheiratet war. Ein Pappmodell des Berliner Olympiastadions, das auf einen Riefenstahl-Film anspielt, vermittelt allerdings keine neuen Erkenntnisse. Originell wirken hingegen sonderbare Schubkästen, die man aufziehen kann und die dann Filmausschnitte darbieten. Daß die Ausstellung noch unfertig ist, wird dadurch unterstrichen, daß etliche dieser Fächer nicht geöffnet werden können.

Ratlos macht den Besucher jener sehr kleine Teil der Ausstellung, der dem deutschen Nachkriegsfilm gewidmet ist. Fein säuberlich nach West und Ost getrennt, ohne inhaltliche Kommentierung, erscheinen Poträtfotos bekannter Schauspieler, Plakate und wiederum kurze Filmausschnitte. Götz Georges Schmuddelparka und die rote Perücke von Lola, die rennt, stehen am Ende dieser Abteilung.

"Künstliche Welten" bietet der letzte Ausstellungsraum dar, der mit deutscher Filmgeschichte nichts zu tun hat, sondern zeigt, wie Filmtechniker in Hollywood "Special Effects" herstellen. Figuren und Monster aus Filmen wie "Alien" oder "Jurassic Park" dürften am ehesten jugendliche Zuschauer interessieren.

Sicher bereichert das neue Filmmuseum die Berliner Kulturlandschaft, aber ein Pergamon-Altar des deutschen Films ist trotz bombastischer Ankündigungen nicht entstanden. Vieles erscheint seicht und willkürlich angelegt. Wie etliches andere am Potsdamer Platz auch, läßt sich das Museum rasch und problemlos konsumieren. Zwischen gläsernen Cafés und Fast-Food-Läden macht es keine schlechte Figur.

Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek: Potsdamer Platz 2, Tel.: 030 / 30 09 03-0, Internet: www.fimmuseum-berlin.de . Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet 12 Mark, ein Ausstellungskatalog 58 Mark.


 
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