© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
"Regierungsamtliches Siegel verliehen"
Zöpel-Interview: Guido Westerwelle greift im Bundestag Bundesregierung an / Alexander von Stahl bezeichnet Kritik als "geschmacklos"
Hans-P. Rissmann

Das Interview der JUNGEN FREIHEIT mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel (SPD), hat auch in der vergangenen Woche zu anhaltenden Diskussionen innerhalb der Koalitionsparteien geführt. Verwunderung hervorgerufen hat jedoch ein Angriff des FDP-Generalsekretärs Guido Westerwelle in einem Redebeitrag zur Parlamentsdebatte des Deutschen Bundestages zum Thema Rechtsextremismus am 28. September. Wir dokumentieren die entscheidende Redepassage, die die JF und das Zöpel-Interview betreffen:

Westerwelle: Die Neonazi-Keule – das muß ich an die PDS gerichtet sagen – dürfen Sie nicht schwingen. Ich befürchte nämlich wirklich, daß Sie damit denjenigen einen Gefallen tun, die wir gemeinsam politisch bekämpfen sollten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen)

Man muß sich auch überlegen, wo man etwas sagt. Es gibt mehrere Mitglieder dieses Hauses, die dem vom Verfassungsschutz beobachteten Zeitungsorgan JUNGE FREIHEIT Interviews gegeben haben. Ich bedauere das.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Diese Zeitung ist im Verfassungsschutzbericht genannt worden, und es wäre spätestens jetzt weiß Gott nicht mehr notwendig gewesen, diesem Blatt eine solche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ich muß der Bundesregierung, Herrn Minister Schily und den anderen Mitgliedern des Kabinetts sagen: Es ist nicht in Ordnung, daß ein Staatsminister dieser Bundesregierung der JUNGEN FREIHEIT in der vorvergangenen Woche ein Interview gegeben hat und damit diesem Blatt sogar noch das regierungsamtliche Siegel verleiht und der Eindruck entsteht, man könne sich mit einer solchen Zeitung normal unterhalten.

(Beifall bei der FDP, sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnis 90/Die Grünen)

Es geht nicht daraum, was er gesagt hat. Es geht darum, daß er ein solches Blatt aufwertet. Das sollten Sie zurücknehmen, davon sollten Sie sich distanzieren. Das Interview war nicht nur ein Akt politischer Ungeschicklichkeit, sondern ich glaube, es war eine politische Aufwertung, die nicht sinnvoll ist."

In einer Pressemitteilung erklärte der Chefredakteur der JUNGEN FREIHEIT, Dieter Stein, gegenüber den Medien zum Angriff von Guido Westerwelle: "Es ist ein völlig normaler Vorgang, daß ein Mitglied der Bundesregierung auch einer Zeitung, die der rot-grünen Koalition kritisch gegenübersteht, ein Interview gibt. Guido Westerwelle ist offenbar auch nicht gut informiert. Erst kürzlich hat die JUNGE FREIHEIT Interviews mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrich Heinrich, oder mit dem bayerischen Landesvorsitzenden der FDP, Hermann Stützer, geführt. Das muß Westerwelle wohl ebenso entgangen sein wie die Tatsache, daß der ehemalige Generalbundesanwalt und FDP-Politiker Alexander von Stahl zu den regelmäßigen Mitarbeitern der JUNGEN FREIHEIT gehört. Die Titulierung der JUNGEN FREIHEIT als rechtsextrem oder rechtsradikal weisen wir mit Empörung zurück."

Alexander von Stahl selbst erklärte zu den neuerlichen Angriffen auf die JF: "Für einen liberalen Politiker ist die Äußerung Guido Westerwelles über die honorige JUNGE FREIHEIT reichlich geschmacklos. Er sollte sie zurücknehmen." Die Berliner Tageszeitung taz kommentierte die Entgleisung des FDP-Generalsekretärs im Bundestag als Eigentor: "Fettnapf für Guido Westerwelle" schreibt das regierungsnahe Blatt und berichtet über die Interviews der JF der FDP-Politikern.

Christoph Zöpel indes hat auch weiterhin sein Interview mit der JF verteidigt. Er verwies gegenüber der taz darauf, daß die Formulierungen des NRW-Verfassungsschutzes "keine eindeutigen Zuordnungen zum Rechtsextremismus" seien. "Was dort stehe, ist früher auch über Publikationen der Linken geschrieben worden", so Zöpel zur taz. Das Auswärtige Amt lehnte bislang eine offizielle Stellungnahme zum JF-Interview mit Zöpel ab.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen