© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Zeitschriftenkritik: Deutsche Zeitschrift für Philosophie
Rückkehr ideologischer Monotonie
Ellen Conradt

Nur der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik scheint die Bibliotheken nicht in Mitleidenschaft gezogen zu haben. Denn schon 1933, beim nächsten Systemwechsel, ging es nicht so glimpflich ab. Ebenso nach 1945, als deutsche Bibliotheken auf Befehl der Siegermächte "gesäubert" werden mußten. Und wiederum 1990, als die ideologische Hinterlassenschaft der SED-Herrschaft aus den Regalen verschwand. Im Innenhof eines jeden Honecker-Ministeriums stand im Sommer 1990 mindestens ein Container, um einstmals staatstragende Druckerzeugnisse für den Abtransport in die Papiermühle zu sammeln. Darunter, handlich gebündelt und verschnürt, oft genug die Deutsche Zeitschrift für Philosophie, die 1953 zu erscheinen begonnen hatte: Eine Todesanzeige, die das Ableben Josef Stalins zur Kenntnis gab, eröffnete das erste Heft dieses Periodikums, das sich bis 1989 als Sprachrohr der marxistisch-leninistischen Kaderphilosophie verstand. Hingebungsvoll widmeten sich die Autoren Themen wie "Die wachsende Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei", "Zur Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Arbeiterklasse im Sozialismus" oder "Die materialistische Dialektik als Einheit von Theorie und Methode". Bis dann über Nacht dies alles zur Makalatur wurde.

Die Zeitschrift hat die Abwicklung ihres "roten" Redaktionsstabes, die Entsorgung ihrer ideologischen Bestände überlebt. Anstelle beinharter Marxisten wie Georg Mende oder Dieter Bergner übernahmen Axel Honneth und Herta Nagl-Docekal als Redakteure, Jürgen Habermas, Richard Rorty, Hubert L. Dreyfus und Yehuda Elkana als Beiräte die Verantwortung – Exponenten des westlichen Werte-Universalismus allesamt. Allein der Name des Chefredakteurs signalisiert einen Hauch von Kontinuität: Mischka Dammaschke. DDRischer kann man nicht heißen. Mischka, russisch: "das Mäuschen", 1982 in (Ost-)Berlin über die Ethik des jungen Georg Lukács promoviert, hört mit feinen Ohren nur noch die Signale des einstigen Klassenfeindes. Die Manuskripte, die ihm aus Stanford, Frankfurt/Main und Jerusalem zugehen, haben der Zeitschrift inzwischen eine ähnlich homogen-monotone Gestalt gegeben wie zu DDR-Zeiten. Allein in den letzten beiden Heften finden sich viele einschlägige Titel über "feministische Theorie der Gerechtigkeit", "Pluralismus und moralische Urteilsgemeinschaft", "Regeln, Normen, Gebräuche", "Bedeutung zwischen Norm und Naturgesetz", die zu beworbenen Neuerscheinungen mit dem Untertitel "Liberale Gleichheit für autonome Personen" ausgezeichnet passen. Das Schwerpunktthema von Heft 2/00 widmet sich der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners (1892–1985), den der Potsdamer Philosoph Hans-Peter Krüger seit langem als Meisterdenker für das 21. Jahrhundert anpreist. Nicht zuletzt weil er der Antipode einer geistigen Tradition sei, die Krüger mit den Namen Heidegger und Schmitt vielsagend andeutet und die für den künftigen "interkulturellen Austausch und die Entscheidungsfindung in Menschenfragen" uns nichts mehr zu sagen haben (soll). Wer sich bei soviel ambitiösem Gutmenschentum wieder nach der reinigenden Kraft der Papiermühle sehnt, dem seien besänftigend manche philosophiehistorisch wertvolle Dokumentationen in der DZfPh empfohlen. So die Edition des Sympathien für den frühen Hitler offenbarenden Tagebuchs des Logikers Gottlob Frege. Oder, im jüngsten Heft: "Georg Lukács in der Lubjanka" – nebst dem "Protokoll des Verhörs vom 5. August 1941".

Akademie Verlag Berlin; Bezug: R. Oldenbourg Verlag, Postfach 801360, 81613 München. Sechs Hefte jährlich 220 Mark, für Studenten: 97 Mark


 
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