© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Der Plural als Programm
Sigrid Löffler präsentiert mit "Literaturen" eine neue Zeitschrift für Berufsleser
Angelika Willig

Früher war es so, daß Dichter in Literaturzeitschriften bekannt gemacht wurden. Früher: das war die Zeit, als man noch über Bücher sprach. Heute spricht man über Filme. Da gibt es alle paar Wochen ein paar, die man gesehen haben muß, eine relativ bescheidene Anzahl, weil Filmemachen viel mehr Geld kostet als Bücherschreiben und Filmesehen sehr viel schneller geht als Bücherlesen. Aus diesem einfachen Grund drehen sich die Verlegenheitsgespräche, für die man früher die Bücher brauchte, heute um Filme. Bücher liest man zwar auch noch, aber nicht aus gesellschaftlichen, sondern aus sachlichen Gründen. Der Bereich des Sachbuchs, Koch-, Garten-, Gesundheitsbücher und Ratgeber, ist in jedem Verlag der lukrative Bereich, Belletristik das Sorgenkind.

Manche sagen, Belletristik wird wenig gelesen, weil es zu viel gibt und man nicht mehr durchblickt. Diesem Glauben verdankt sich eine neue Literaturzeitschrift mit dem Titel Literaturen – der Plural ist Programm! Plural ist immer pluralistischer, aber pluralistisch soll nicht heißen beliebig, und darum heißt es im Untertitel "Das Journal für Bücher und Themen". Das heißt, Literaturen stellt nicht nur eine Menge neu erschienener Bücher aus einer Menge von Ländern vor, sondern zeigt auch thematische Zusammenhänge und Zeitthemen auf, damit in das Ganze irgendeine Ordnung kommt. Im ersten Heft zum Beispiel sind die Schwerpunktthemen erstens "Die Erfindung des Ostens" und zweitens "Polen – in der Mitte Europas". Außerdem gibt es ein Porträt über den Schriftsteller Michael Ondaatje von Chefredakteurin Sigrid Löffler, der den Osten und den Westen "mit dem doppelten Blick" betrachtet, der im Foto auch sehr gut herauskommt. Die neue Friedenspreisträgerin Assia Djebar aus Algerien wehrt sich in einem Gespräch gegen "westliche Zerrbilder". Natürlich hängt das alles irgendwie zusammen. Es gibt sehr viel zu lesen und schön wenig Anzeigen. Bücher des Monats, Reportage, Essay – das 150 Seiten dicke Heft ist selbst schon eine gewichtige Lektüre und außerdem bekommt man viele Anregungen. Nur genug zu lesen und genug Anregungen hatte man ja schon und will sich eigentlich etwas sparen. Mit 12 Mark ist Literaturen billiger als ein gleich dickes Buch. Und durchaus nicht unkritisch: Die neue Mode der "Shoah-Romanzen", also Liebesgeschichten im Umfeld des Holocaust, wird mit Leichtigkeit als Kitsch identifiziert.

In der Werbung heißt es: "Damit Sie wissen, was Sie lesen wollen. Und lesen, was Sie wissen müssen." Hier zeigt sich, welche Zielgruppe eigentlich gemeint ist und für welche das Produkt auch sinnvoll ist: die Berufsleser. Wer von Berufs wegen gezwungen ist zu wissen, was es so an Neuerscheinungen gibt und worum es da ungefähr geht, wird sich über Literaturen freuen. Die Redakteure sind fleißig gewesen und haben ihren Lesern eine Menge Arbeit abgenommen. Sie haben geistiges Niveau, bleiben aber auch für Menschen ohne literaturwissenschaftliches Studium verständlich. Literaturen ist genau das, was heute gefragt ist: Dienstleistung und Service für eine bestimmte Zielgruppe.

 

Literaturen erscheint monatlich im Friedrich Berlin Verlag, Reinhardtstr. 29, 10117 Berlin. Das Einzelheft kostet am Kiosk 12 Mark, das Jahresabo 136 Mark, für Schüler und Studenten 99 Mark.


 
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