© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
WIRTSCHAFT
Vom Aktienzocken zur Aktienkultur
Bernd-Thomas Ramb

Die deutsche Aktienkultur hat in den letzten Jahren die große Lücke zum internationalen Standard verringert, aber nicht vollständig geschlossen. Dank Deutscher Telekom nahm die Anzahl der Wertpapierbesitzer zu, wie auch der Neid der Nichtbesitzer angesichts der emormen Kursgewinne.

Beidem schien nach oben keine Grenzen gesetzt. Nun hat sich nicht nur der Telekom-Kurs wieder beruhigt, er liegt mittlerweile nur noch beim Dreifachen des ersten Ausgabekurses, nachdem er im Frühjahr auf das Achtfache gestiegen war. Die Käufer der letzten Telekommission verloren sogar 40 Prozent ihres Einsatzes. Käufer von Wunderaktien des Neues Marktes können nun häufig nur noch einen Bruchteil ihres eingesetzten Vermögens retten.

Aus Neid mag bei manchem Mitleid mit den Aktienbesitzern entstanden sein, häufiger aber Schadenfreude und der Gedanke, richtig zu handeln, wenn der Kauf von Aktien (oder Aktienpaketen in Form von Fonds) grundsätzlich vermieden wird. Dabei ist trotz der spektakulären Totalverluste einzelner Aktien und der gelegentlich crashartigen Abstürze bedeutender Aktienindizes die langfristige Erfolgsbilanz dieser Kapitalanlage unbestreitbar. Ottonormalverbraucher bleiben diese Kenntnisse meist verborgen. Er nimmt in der Regel nur die kurzfristigen Ausschläge wahr, zieht daraus seine Gier auf raschen Profit und dann seine enttäuschten Schlüsse. Angesichts des zunehmend sich deutlicher abzeichnenden Debakels bei der staatlichen Rente und der steigenden Notwendigkeit einer privaten Absicherung wird kaum einer noch am Aktienerwerb vorbeigehen können. Nun heißt es lernen, mit Geduld die richtigen auszuwählen, und zu begreifen, daß mit einer höheren Rendite auch ein höheres Maß an Wagnis verbunden ist.


 
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